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Flexibilisierung am Arbeitsmarkt?

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Im Zusammenhang mit Arbeitsmarktpolitik fordern Arbeitgeberverbände und Konzernvorstände stets der Arbeitsmarkt müsse "dereguliert" und "flexibilisiert" werden. Dabei zeigen sich viele Unternehmen selbst sehr unflexibel, was die Organisation von Arbeit angeht.

Das zeigt sich u.a. daran, dass

- Teilzeitarbeit und familienverträgliche Arbeitszeiten in Deutschland weit weniger verbreitet sind, als in anderen europäischen Ländern.

- Ca. 60% aller Betriebe keine Mitarbeiter über 50 mehr beschäftigen.

- Schwerbehinderte überproportional häufig erwerbslos sind - selbst bei hoher Qualifikation.

- Immer weniger Ausbildungsplätze (auch in neugeordneten Berufen) geschaffen werden - obwohl sich allerorten über Fachkräftemangel beklagt wird.

- Bei Bewerbungen trotz allem Gerede über Soft-Skills usw. der "glatte" Lebenslauf am meisten zählt.

Was haltet ihr von diesen Widersprüchlichkeiten?

Gruß, Guido
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Hi Guido,

Du lieferst mir geradezu eine Steilvorlage ;-)

Zitat
Schwerbehinderte überproportional häufig erwerbslos sind - selbst bei hoher Qualifikation


Gleiches gilt z.B. auch für Frauen, die noch Kinder kriegen könnten. Würde man also den besonderen Schutz der Schwerbehinderten (und Mütter und Jugendlichen usw) abschaffen, so fänden diese leichter eine Arbeit. Daher finde ich auch Deine Antwortoptionen nicht so gut: die Deregulierung geschieht nämlich nicht auf Kosten der AN, sondern zu deren Nutzen ;-)
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Hi Guido,

stimme mit Harry überein: Bau Deine Antwortoptionen vielleicht mal um, und dann bin ich auf die möglichen Antworten gespannt.

Wir jammern immer über zu viele Regeln durch den Staat. Weniger Regeln bedeutet immer auch eine gewisse Mitverantwortung der Betroffenen - und Verantwortung für seine EIGENEN Entscheidungen zu übernehmen hat noch niemandem geschadet!

Mut fängt immer bei einem selber an!

Ciao!
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Hallo,

Zitat
Schwerbehinderte überproportional häufig erwerbslos sind - selbst bei hoher Qualifikation


Das erscheint mir ziemlich widersprüchlig. Letztens hatten wir in der Schule eine Bewerbungssberatung. Der, der das durchführte, sagte, dass falls man behindert ist, das eigentlich sagen sollte, da jedes Unternehmen dazu verpflichtet ist, einen Anteil an Arbeitersplätzen mit Behinderten zu belegen, sonst eine Angabe.
Deswegen finde ich es sehr kommisch, dass laut Guido so viele Hochqualifizierte ohne Arbeit sind.
Weiß jemand etwas über die Behindertenabgabe?
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Ort: Erfurt
Guten Abend,

Zitat
Der, der das durchführte, sagte, dass falls man behindert ist, das eigentlich sagen sollte, da jedes Unternehmen dazu verpflichtet ist, einen Anteil an Arbeitersplätzen mit Behinderten zu belegen, sonst eine Angabe.


Dann "vergaß" er Dir zu sagen, daß es fast unmöglich ist, einen Behinderten wieder zu entlassen. Die Unternehmen zahlen daher praktisch alle die Abgabe, um keine Behinderten einstellen zu müssen - und genau das ist das Problem: hätte ein Behinderter keinen Kündigungsschutz, dann hätte er viel bessere Chancen, einen Job zu finden. Der Kündigungsschutz schadet also dem, der eigentlich geschützt werden soll.
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An HZingel:
Das ist aber richtig gemein von ihm. Ich meine das ernst. Ich werde es an weitere weiterleiten, dass falls sie behindert sind, sie es nicht dem Arbeitgeber erzählen sollen.

Danke für den Tipp!
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"HZingel" schrieb
Würde man also den besonderen Schutz der Schwerbehinderten (und Mütter und Jugendlichen usw) abschaffen, so fänden diese leichter eine Arbeit. Daher finde ich auch Deine Antwortoptionen nicht so gut: die Deregulierung geschieht nämlich nicht auf Kosten der AN, sondern zu deren Nutzen ;-)


Daran habe ich gewisse Zweifel. Denn ich sehe einfach nicht, dass vorgenommene Deregulierungen der letzten Jahre tatsächlich dazu geführt hätten, dass es leichter geworden wäre, eine Stelle zu finden. Oder dass Arbeitsplätze entstanden wäre. Die Praxis bestätigt die Theorie einfach nicht.

Ich bin gern bereit meine Meinung hierzu zu ändern, wenn ich sehe, dass die theoretischen Annahmen sich in der realen Welt bestätigen.

Gruß, Guido
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Ort: Bayern
"Hobbyvolkswirt" schrieb
Das erscheint mir ziemlich widersprüchlig. Letztens hatten wir in der Schule eine Bewerbungssberatung. Der, der das durchführte, sagte, dass falls man behindert ist, das eigentlich sagen sollte, da jedes Unternehmen dazu verpflichtet ist, einen Anteil an Arbeitersplätzen mit Behinderten zu belegen, sonst eine Angabe.
Deswegen finde ich es sehr kommisch, dass laut Guido so viele Hochqualifizierte ohne Arbeit sind.
Weiß jemand etwas über die Behindertenabgabe?


Die Beschäftigung Schwerbehinderter ist organisatorisch manchmal etwas aufwändiger. Und da viele Unternehmen schon ihr Tagesgeschäft nicht geregelt bekommen und die Personalführung oft nur hingeschlampt wird, zahlen viele Unternehmen lieber diese Abgabe.

Sie lässt sich zudem sehr einfach dadurch umgehen, dass man Aufträge an anerkannte Behindertenwerkstätten vergibt. Deren Volumen kann teilweise auf die Abgabenschuld angerechnet werden (bis hin zur kompletten Negierung).

Als weiterer Hintergrund wird oft der sog. "Kündigungsschutz" für Schwerbehinderte angesehen. Mit der Reform des SGB IX und der Einführung der Integrationsämter ist dieser rapide zusammengeschrumpft. Bei verhaltensbedingten und betrieblich bedingten Kündigungen greift er praktisch gar nicht mehr. Nur ist das weder in den Unternehmen noch in der Öffentlichkeit bekannt. Da es dort wo personalpolitisch geschlampt wird meist auch an der nötigen Weiterbildung für Entscheider mangelt.

Bei den hochqualifizierten Schwerbehinderten kommt zudem oft noch der Faktor "Alter" hinzu. Sie werden mit Alter 45-50 (das sind noch 20-15 Jahre bis zur Regelaltersrentengrenze) von vielen Unternehmen generell als erwerbsuntauglich angesehen. Und das obwohl wir in .de Firmenvorstände haben, die noch mit Mitte 60-70 ranklotzen.

Diese Praktiken sind u.a. mit daran schuld, dass wir in .de 19,5% Regelbeitrag für die gesetztliche Rentenversicherung haben.

Gruß, Guido
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Ort: Viersen
Hallo, Guido,

Zitat
Nur ist das weder in den Unternehmen noch in der Öffentlichkeit bekannt. Da es dort wo personalpolitisch geschlampt wird meist auch an der nötigen Weiterbildung für Entscheider mangelt.


Heißt es etwa für den nehinderten Bewerber, dass es beim Bewerungsgespräch sagen soll: "Es gibt keinen Küündigungsschutz"? Oder sollte man das Gesetz gleich am besten in die Bewerbung rein tun?
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Hallo Hobbyvolkswirt,

"Hobbyvolkswirt" schrieb
Heißt es etwa für den nehinderten Bewerber, dass es beim Bewerungsgespräch sagen soll: "Es gibt keinen Küündigungsschutz"? Oder sollte man das Gesetz gleich am besten in die Bewerbung rein tun?


Nein, dass heißt es nicht.

Es gibt diesen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte. Es ist wie bei so vielen Gesetzen: statt sie entweder zu erlassen und dann konsequent durchzusetzen oder sie eben ganz zu streichen, weil sie nicht zur Praxis passen, wird versucht einen "Mittelweg" zu fahren. Nichts halbes und nichts ganzes eben.

Gemäß aktueller Rechtssprechung ist es definitiv nicht gewollt Behinderten einen "beamtenähnlichen" Unkündbarkeitsstatus zu geben. Ein Behinderter der sich daher was Kündigungsrelevantes zuschulden kommen lässt, ist fällig - so oder so.

Auch will man die Entscheidungsfreiheit des Unternehmers bzgl. seines Unternehmens nicht mehr als nötig tangieren. Betriebsbedingte Kündigungen Schwerbehinderter müssen daher faktisch nur ans Integrationsamt gemeldet werden.

Auch "Kündigungsschutz durch Entscheidungsverschleppung" im I-Amt gibt es nicht mehr. Rühren die sich nicht innerhalb von vier Wochen, gilt sie automatisch als genehmigt und kann offiziell ausgesprochen werden.

Ebenfalls abgeschafft wurde am 01.04.2004 die zuvor gängige Praxis, dass Leute bei denen die Kündigung absehbar war, noch schnell einen Behindertenstatus beantragten, um so eine Verfahrensverzögerung zu erreichen. Wer zum Zeitpunkt der Kündigung keinen anerkannten (!) Schwerbehindertenstatus vorweisen kann, dem nutzt er auch danach nichts mehr.

Zum Thema "Behindertenstatus beim Bewerben angeben oder nicht" gehen die Meinungen der Fachleute auseinander. Und jede Seite hat gute Gründe für ihre Meinung. Generell kann man nur Folgendes sagen:

Wird ein Schwerbehindertenstatus angegeben, so hat eine ggf. vorhandene Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit diesen Bewerber u.U. vorziehen zu lassen, wenn der AG die Schwerbehindertenquote noch nicht erfüllt und eine geeignete Stelle da ist, die der Bewerber ausfüllen kann. Im öffentlichen Dienst gibt es zusätzlich Quotenregelungen, auf die bereits in der Stellenausschreibung hingewiesen wird ("Schwerbehinderte bei gleicher Eignung bevorzugt...").

Behinderungsangaben, welche den Einsatz im ausgeschriebenen Job beeinträchtigen können, müssen angegeben werden. Ansonsten ist der Arbeitsvertrag anfechtbar. Ein Epileptiker kann sich z.B. nicht so ohne weiteres als Fahrer bewerben, selbst wenn er schon lange anfallsfrei lebt.

Gruß, Guido


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