Dieser Kommentar soll nicht dazu dienen zu provozieren, sondern entdeckte Fehler zu korrigieren. Zu weilen machen auch gute Lehrbuchautoren Fehler. Insbesondere wenn man gerne andere kritisiert, darf man sich nicht wundern wenn man bei offensichtlichen Fehlern selbst kritisiert wird.
Grundschulfehler bei der Berechnung des Kalkulationszinsfußes
Hier im Forum habe ich bereits angeregt über den Einfluss von Fremd- und Eigenkapital auf den Kalkulationszinsfuß diskutiert (http://www.bwl24.net/forum/topic.php?id=7356 und http://www.bwl24.net/forum/topic.php?id=7425).
Derzeit gibt es über ein halbes dutzend Ansätze zur Bestimmung des Kalkulationszinsfußes die abhängig von dem Investitionsobjekt, dem Investor und dem Risiko verwendet werden.
Eine Reihe von Quellen habe ich in der vorangegangenen Diskussion bereits genannt. Leider findet sich im Bereich der üblichen IHK - Literatur ziemlich wenig zu dem Thema. Wer sich im Rahmen der Ausbildung zum Bilanzbuchhalter das Buch "Finanzwirtschaft für Bilanzbuchhalter" von Manfred Wünsche gelesen hat, der findet zumindest eine Seite zu dem Thema wo grob die gängigen Methoden dargestellt werden.
Ein nirgends in den von mir gesichteten Quellen gefundener Ansatz, ist der von Herrn Zingel, der stark Kosten & Investitionsrechnung vermischt.
Der Prinzipielle Ansatz ist zwar geläufig, nämlich die Verbindung eines risikoarmen Zinses mit einem Risikoaufschlag (Die Idee repräsentiert das Capital Asset Pricing Model aus der Finanzwirtschaft, welches auf der Portfoliotheorie von Markowitz aufbaut. Beides das Werk von Nobelpreisträgern und gängige Lehre an Hochschulen, leider nicht im IHK Rahmenplan). Die Umsetzung und Interpretation des BWL-Boten ist allerdings sehr exotisch. Dort heißt es, wie Herr Zingel gerne sagt, SELBER DENKEN!
Das habe ich an dieser Stelle getan und verblüfft festgestellt, das diese Variante
ZitatKapitalmarkt-Guthabenzins (Opportunitätskostensatz der Kapitalanlage)
+ Allgemeines Risiko der Unternehmenstätigkeit (Risiko, das alle Unternehmer gleichermaßen betrifft, i.d.R. Insolvenzquote)
= Mindestrentabilität (Rmin), d.h. Kalkulationszins in KLR und Investitionsrechnung
elementare Rechenfehler der 3. Klasse beinhaltet, die wohl jeder kennt, der die 3. Klasse gemeistert hat. Insgesamt hat die Formel drei Fehler:
1. Die Addition des risikoarmen Zinses mit der Insolvenzquote
2. Verwendung des Hauptrefinanzierungszinses der EZB
3. Verwendung der Insolvenzquote
Fehler 1: Addition des risikoarmen Zinses mit der Insolvenzquote
Schon in der 3. Klasse wurde jedem eingebläut: Äpfel und Birnen kann man nicht addieren!!!
Der eine oder andere, dem der Physikunterricht vielleicht nicht mehr geläufig ist, wird sagen: ist doch beides in %?!
Aber auch im Physikunterricht war es immer ein Kardinalfehler, verschiedene Maßeinheiten miteinander zu addieren. Die Darstellung in Prozent ändert die Maßeinheiten nicht. Ich kann auch nicht eine Kraftwerksauslastung in % mit einem Zins addieren. Was kommt da raus?
In unserem Beispiel, addieren wir einen Zins (Maßeinheit in Euro) und die Anzahl an insolventen Unternehmen (Maßeinheit in Unternehmen). Was kommt da für eine Einheit raus? Richtig, nichts sinnvolles. In der 3. Klasse wäre das addieren von Äpfeln und Birnen Apfelmuss und bestenfalls für den Kompost geeignet.
Das die Insolvenzquote an sich, schon vom kausalen Zusammenhang, die falsche Wahl ist, wird unter Fehler 3 behandelt. Was jedoch klar sein dürfte, das zum abzinsen ein Kalkulationszins in der Einheit Euro verwendet werden muss. Schließlich handelt es sich bei der Kapitalwertmethode quasi um eine Abzinsung. Dies ist die gegenteilige Operation zur Auf- bzw. Verzinsung.
Oder was würde der Anleger wohl vom einem Zins halten, der sich zu 3% aus Euro und 5% aus Unternehmen zusammensetzt? Bekommt er hinterher 3% Euro und 5% Backsteine?
Fehler 2: Verwendung des Hauptrefinanzierungszinses der EZB
In der Theorie existiert ein risikoloser Zins, dieser ist im vollkommenen Kapitalmarkt der Marktzins. Leider ist die Realität etwas anders. Dort muss der Zins zwei Anforderungen erfüllen:
1. Der Zins sollte über den Investitionszeitraum stabil sein.
2. Der Zins muss risikoarm sein.
Der Hauptrefinanzierungszins der EZB erfüllt diese Forderungen nicht. Man müsste dort mit dem erwarteten Zinssatz über den Investitionszeitraum rechnen. Dieser ist aber so gut wie nicht zu ermitteln, da der Zins im Rahmen von Auktionen jede Woche wieder neu festgelegt wird. Diesen Zins zu verwenden ist also quasi unmöglich, und dieser ist wahrscheinlich nach Fertigstellung der Investitionsrechnung schon wieder überholt. Auch ist dieser Zins KEIN Risikomaß für den europäischen Wirtschaftsraum, sondern ein makroökonomisches Instrument der Geldpolitik. Ein risikoarmer Zins ist immer stabil. In der Finanzwirtschaft spricht man auch von geringer Volatilität (Statistisch in der Varianz des Zinsniveaus gemessen). Der Hauptrefinanzierungszins hat aber nachweislich eine hohe Volatilität, insbesondere in den letzten Monaten. Zudem soll, wie er Zingel richtig schreibt, ein Guthabenzins verwendet werden, da ja Schuldzinsen bekanntlich in der Kostenrechnung nichts zu suchen haben. Der Hauptrefinanzierungszins ist aber kein Guthabenzins. Man kann kein Geld zu diesem Zins anlegen, sondern sich nur welches leihen. Damit ist es ein Schuldzins. Natürlich kann man argumentieren, das es der Guthabenzins der EZB ist, aber dort haben wir dann auch keinen risikoarmen Zins, den es wird dadurch das Risiko des Kreditnehmers repräsentiert, wenn der ausfällt, dann ist auch die EZB ihr Geld los. Also wieder nichts mit dem Risikomaß für die europäische Volkswirtschaft.
Wo ist der Ausweg? In der Praxis greift man gerne auf 4-5 jährige Staatsanleihen westlicher Länder zurück. Dort sind die Zinsen garantiert und es existiert kein spezielles Risiko, sondern nur das systematische. Die Idee scheitert nur dann, wenn die Bundesrepublik pleite geht (was zwar passieren kann, aber nicht wahrscheinlicher ist als die Pleite anderer EU-Länder). Wenn allerdings Tante Frieda ihre 19.000 € bei der Sparkasse anlegen will, dann ist die Zinssatz der der Sparkasse der risikolose Zins, denn Anlagen der Sparkasse sind durch den Einlagensicherungsfonds bis 20.000 € zu 100% abgesichert.
Fehler 3: Verwendung der Insolvenzquote
Die Insolvenzquote, hat gleich eine Reihe von Fehlern, die sie für den Kalkulationszinsfuß unbrauchbar macht.
1. Die Insolvenzquote ist vergangenheitsorientiert. Für eine zukünftige Investition benötigen wir natürlich eine Ausfall- bzw. Insolvenzwahrscheinlichkeit. Diese ist schwer zu ermitteln und wird normalerweise nur im Rahmen des Bankenratings annähernd ermittelt.
2. Die Insolvenzquote hat keine Maßeinheit in Euro. Wie wir unter 1 gesehen haben, müssen wir das Risiko in Euro ausdrücken um es mit dem risikoarmen Zins zu addieren.
3. Die Insolvenzquote hat KEINEN Bezug zum eingesetzten Kapital. Ein ganz logischer Gedanke: Wenn ich bei einer Investition statt 10.000 € bis zu 10.000.000 € verlieren kann, dann ist bei gleicher Laufzeit das Risiko für mich als Investor (nicht für das Unternehmen) der Investition höher. Dementsprechend müsste sich das im Kalkulationszinsfuß widerspiegeln. Zwar stehen großen Investitionen häufig höhere Kapitalflüsse gegenüber, aber wie Herr Zingel ganz richtig schreibt, gehören Wagnis und Gewinn nicht zusammen.
4. Die Insolvenzquote ist von der Marktgröße abhängig. Nehmen wir den Fall an, dass wir ein Duopol haben. Ein Unternehmen geht pleite. Dann haben wir eine Insolvenzquote von 50%, was jede Investitionsrechnung überflüssig machen würde. Das ist natürlich nicht sinnvoll.
5. Die Insolvenzquote hat keinen eindeutigen Zeitbezug. Wir brauchen keine aggregierte Insolvenzquote der letzten 10 Jahre oder des letzten Jahres. Wir brauchen eine Ausfallwahrscheinlichkeit über die Laufzeit der Investition, und das am Besten gemessen in Euro.
6. Die Insolvenzquote bildet nicht ausreichend das spezielle Risiko der Investition ab. Jede Investition hat ein anderes Risiko. Das allgemeine Unternehmerrisiko entstammt der Kostenrechnung und ist nicht beeinflussbar (auch nicht durch Unternehmensgröße und Branche, daher ist es paradox einerseits vom allgemeinen Unternehmerrisiko zu sprechen, dieses aber beeinflussen zu können). Ist das Risiko branchen- oder größenabhängig, dann ist es bereits ein spezielles Risiko. Das allgemeine Unternehmerrisiko ist nicht entscheidungsrelevant, weil es nicht beeinflussbar ist und alle gleich trifft. In der Kostenrechnung werden für spezielle Risiken kalkulatorische Wagnisse gebildet. In der Finanzwirtschaft wird exakt das gleiche durch das systematische und unsystematische Risiko dargestellt. Das unsystematische Risiko ist diversifizierbar, indem in verschiedene Investitionen getätigt werden. Das systematische Risiko (= allgemeines Unternehmerrisiko) wird auch in der Finanzwirtschaft nicht weiter beachtet.
Anhand dieser Punkte könnte man die Annahme treffen, dass die Insolvenzquote nicht zur Berechnung des Kalkulationszinsfußes geeignet ist. Das ist auch der Fall. Prinzipiell ist die richtige Berechnung nicht ganz einfach. Diese Art zur Berechnung des Kalkulationszinsfußes, entstammt wie im Vorfeld erwähnt, der Kapitalmarkttheorie und ist manchmal nur schwer umzusetzen. Die Verwendung macht am Meisten im Rahmen einer Investitionsprogrammplanung sinn. Dort sorgt die Wahl des richtigen Investitionsprogramms für ein geringeres Ausfallrisiko für das gesamte Portfolio, wobei das Risiko des Portfolios kleiner als die Summe der Einzelrisiken ist (Für dies Erkenntnis hat Markowitz den Nobelpreis gewonnen). Der Risikoaufschlag bildet dabei eine Art Versicherungsprämie die etwaige Ausfälle auffängt. Ein sehr einfaches Beispiel habe ich bereits früher gepostet, wobei diese nicht nach dem CAPM berechnet wurde und nur die Methodik verdeutlichen soll:
ZitatDie Investition bestimmt das Insolvenzrisiko mit. Das Insolvenzrisiko anzusetzen hat nur im Kapitalmarkt Sinn. Wenn ich als Investor z.B. in 100 Unternehmen investiere, die homogen sind und in der Gruppe (Ratingklasse) eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 10% haben, dann muss ich einen Aufschlag wählen, der die gewünschte Rentabilität sicherstellt. Ist diese z.B. 7%, dann bedeutet dies eine erwartete Rendite von 0,9*0,07 = 0,063 = 6,3%. Mein Aufschalg muss dann 0,7% betragen damit mein Erwartungswert 7% beträgt. In der Realität ist diese Berechnungsmethode natürlich komplexer und das System funktioniert auch nicht nur mit 100 Unternehmen (Gesetz der großen Zahlen). Dies ist aber der prinzipielle Ansatz, der dann noch um den Zeithorizont du die Schadenshöhe ergänzt werden sollte (z.B Value at Risk, wie es die meisten Banken machen).
Neben dieser, nicht ganz einfachen Methode, gibt es noch eine Reihe von anderen Methoden. Eine gute Übersicht findet sich hier:
http://finance.wiwi.tu-dresden.de/Wiki/index.php/Relevanter_Kalkulationszinssatz
Was der richtige Weg ist, muss jeder situationsabhängig entscheiden. Man sollte sich aber bewusst sein, das auch gute Lehrbuchautoren mal Fehler machen. Wenn man nicht Äpfel mit Birnen addiert, dann hat man schon die halbe Miete.