Kalkulatorische Zinsrechnung: warum man das Abzugskapital nicht abziehen sollte

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Die Kostenrechnung ist ein Bereich des Rechnungswesens voller Mythen und Legenden. Bankzinsen in die Kosten zu rechnen ist einebenso häufiger Fehler wie die unausrottbare Subtraktion bei der Bemessung der kalkulatorischen Zinskosten einer Einzelanlage. Selbst die IHK ist in ihren Prüfungen vor kostenrechnerischen Ungereihmtheiten nicht sicher. Heute hat der BWL-Bote schon wieder was zu meckern, wiederum zur kalkulatorischen Zinskostenrechnung.

Kosten sind, so weiß der kundige Leser, bewerteter und periodisierter Güter- und Leistungsverzehr zur Erstellung der betrieblichen Leistung oder Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit. Die etwas sperrige Definition kann man aber auch viel kürzer fassen: Kostenbewerten den betrieblichen Faktoreinsatz, denn der Betrieb ist der Ort, den dem die Faktoren Boden, Kapital, Arbeit und Information kombiniert werden, um aus Gütern nützliche Produkte zu machen. So weit, so theoretisch.

    Betriebsnotwendiges Anlagevermögen
+ Betriebsnotwendiges Umlaufvermögen
= Betriebsnotwendiges Vermögen
Abzugskapital
= Betriebsnotwendiges Kapital

Kann man bei der Bemessung der kalkulatorischen Zinskosten einer einzelnen Maschine noch deren tatsächlichen Wert i.d.R. im Rahmen einer Durchschnittsrechnung zugrundelegen, ist für die Ermittlung der kalkulatorischen Zinskosten des gesamten Betriebes die Summe des Faktors "Kapital" zu ermitteln. Hierfür wird traditionell das nebenstehende Rechenschema genutzt. Dieses Rechenschema wird hiermit bestritten.

 

Grundgedanke ist zunächst, daß aus dem bilanziellen Anlage- und Umlaufvermögen die nicht betriebsnotwendigen Komponenten ausgeschieden werden müssen. Stillstehende Maschinen, leerstehende Gebäude und brachliegende Grundstücke gehören nicht in die kalkulatorische Zinskostensrechnung, weil das in ihnen gebundene Kapital nichts zur Erstellung der betrieblichen Leistung beiträgt – so weit, so gut. Daß hierbei aber Gegenstände, für die beispielsweise im Rahmen des HGB ein Bilanzierungsverbot z.B. nach §248 Abs. 2 HGB gilt hinzuzurechnen sind, denn sie binden ebenfalls Kapital, und auch andere stille Reserven soweit sie durch Unterbewertung von Aktiva entstehen aufzudecken sind, wird schon meistens vergessen. Das aber ist bedeutsam, denn wir wollen ja das Kapital verzinsen, was der Unternehmer wirklich nutzt, und nicht das, das auszuweisen ihm Rechtsvorschriften vorschreiben (oder eben auch verbieten).

Spannender aber ist die Mehrheitsmeinung zum Abzugskapital, denn dieses bestehe, so wird eingewandt, in zinslos überlassenem Fremdkapital. Dieses solle, so die Mehrheitsmeinung, nicht kalkulatorisch verzinst werden. Die in einschlägigen Leerbüchern genannten Beispiele sind erhaltene Kundenanzahlungen, Lieferantenverbindlichkeiten und Rückstellungen. Das aber wird an dieser Stelle vehement bestritten. Weshalb, kann auf zwei Arten demonstriert werden – formal und sachlogisch.

Die sachlogische Argumentation begründet sich darauf, daß die kalkulatiorische Verzinsung im wesentlichen ein Vermögenszins ist. Das Vermögen, soweit betriebsnotwendig, ist aber aus den betrieblichen Prozessen heraus definiert, die leistungsnotwendig sind. Wenn Vorzahlungen von Kunden, Lieferantenschulden und Rückstellungen Teil des Geschäfts sind, dann gibt es keinen Grund, die damit zusammenhängende Vermögenssumme nicht auch zu verzinsen. Dies haben wir schon früher in dieser Lehrfolie dargelegt:

Die formale Argumentation kann man sich am besten verdeutlichen, indem man übertreibt. Dann tritt der Unsinn der Lehre vom Abzugskapital deutlich zu Tage: nehmen wir an, zwei Betriebe täten genau dasselbe. Gleichartige Anlagen erzeugen aus derselben Art von Material dieselben Produkte. Einer der Unternehmer finanziert im wesentlichen mit Fremdkapital, denn er besitzt kein Geld. Der andere hat am Ende seines Studiums von seiner Oma eine Millionen geschenkt bekommen und braucht kein Fremdkapital. Er zahlt alle Lieferer direkt in bar und hat kein Bankkonto. Beide Beispielunternehmer setzen dieselbe Kapitalsumme ein, denn sie haben das gleiche Vermögen, also die gleiche Bilanzsumme. Daß diese aus unterschiedlichen Quellen stammt begründet unterschiedliche Aufwendungen, denn einer muß Leistungen der Bank – Kredite! – in Anspruch nehmen, der andere nicht. Da der Faktor Kapital aber derselbe ist, sollten beide trotz unterschiedlicher Zinsaufwendungen dieselben Zinskosten ausweisen. Es ist also offensichtlich Unsinn, dem "armen" Unternehmer die (ja auch nur möglicherweise zinsfreien) Lieferantenverbindlichkeiten als Abzugskapital aus der kalkulatorischen Zinsrechnung zu streichen, denn hierdurch wäre der Faktor "Kapital" ungleich- und in einem Falle unterbewertet.

Dinge sind nicht deshalb richtig, weil sie oft wiederholt werden. Das haben wir schon anderswo immer wieder demonstriert (Beispiel,Noch ein Beispiel). Auch die Lehrvorträge des Professors wollen durchdacht, durchdrungen und ggfs. kritisiert werden. Zu einer diesbezüglichen Debatte wird an dieser Stelle eingeladen. Das ist erfahrungsgemäß oft nicht ohne Komik: auch die gelehrtesten Lehrer stehen nämlich schnell auf dem Schlauch, wenn man seit Genenrationen weitergegebene aber nicht mehr hinterfragte Fehler aufs Korn nimmt. Das belebt jede Leerveranstaltung und fördert das kritische Lernen, in unserer ideologielastigen Zeit bekanntlich ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Die vorstehende Kopiervorlage kann man übrigens auch in einem separaten Fenster öffnen (größere Ansicht!) oder durch einen Rechtsklick auf die Adresse http://www.bwl-bote.de/pdf/20070225.pdf zum Ausdrucken und Benutzen im Unterricht herunterladen. Besitzer der BWL CD sehen bitte im Lexikon für Rechnungswesen und Controlling in das Stichwort "kalkulatorische Zinsen" oder "Zinskosten". In der Formelsammlung der BWL findet der Leser die wichtigsten Formeln und Rechenmethoden zusammengefaßt.

Links zum Thema»Wagnis und Gewinn«: verbreitete Fehler und Irrtümer im Rechnungswesen | Irrungen und Wirrungen der Kostenrechnung: warum Bankzinsen keine Kosten sind | Unausrottbare Fehler: zum Beispiel die kalkulatorischen Zinsen | Fehler in IHK-Prüfungen: Das Ding mit der kalkulatorischen Abschreibung | Lehrfolien: Güter, Produkte und die Wertkette | Skontozins: wenn Du nicht mehr weiter weißt… | Formelsammlung der BWL (interne Links)

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