Internationales Rechnungswesen: Was sind eigentlich latente Steuern?

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Während im deutschen Handelsrecht das Maßgeblichkeitsprinzip durch viele Teuerreformen nach und nach verloren gegangen ist, hat es im internationalen Rechnungswesen nie existiert, denn ein Regelwerk mit weltweitem Geltungsanspruch am Steuerrecht aller Länder der Welt zu orientieren, ist offensichtlich unmöglich. Das IAS/IFRS-Regelwerk kennt daher in IAS 12 Vorschriften, wie aus handelsrechtlicher Sicht mit den oftmals abweichenden Bewertungen umzugehen ist, die durch nationales Steuerrecht dem Bilanzierungspflichtigen verpflichtend vorgegeben sind.

Kernbegriff hierbei ist die sogenannte Tax base, also der Wert, den ein Bilanzierungsobjekt aus steuerrechtlicher Sicht hat. Dieser Steuerbilanzwert kann von der "normalen" IFRS-Bewertung abweichen, etwa wenn eine ausschließlich steuerrechtlich zulässige Abschreibung schon vor Inbetriebnahme des Objektes vorgenommen worden ist, so daß der Tax base Wert der Sache höher ist als der IFRS-Buchwert, oder wenn die steuerrechtlich zulässige und aus Gründen der Ertragsteuerminimierung in Hochsteuerländern auch tatsächlich genutzte Abschreibung höher ist als der (zumeist lineare) nach IFRS zulässige Abschreibungsbetrag, so daß derTax base Wert der Anlage geringer ist als der IFRS-Buchwert.

Aber auch Verbindlichkeiten können zu steuerlichen Bewertungsdifferenzen führen: beispielsweise können kurzfristige Verbindlichkeiten Aufwandsabgrenzungen enthalten, aber der damit verbundene Aufwand kann steuerlich den Wert null aufweisen. Manche Verbindlichkeiten dürfen zudem im Steuerrecht gar nicht berücksichtigt werden, wie etwa Drohverlustrückstellungen, und kurzfristige Verbindlichkeiten können schließlich Geldbußen und -strafen enthalten, die steuerlich ebenfalls nicht abzugsfähig sind.

Insgesamt unterscheidet IAS 12 vier verschiedene Arten von Steuerabgrenzungen:

Typ Art der temporary difference Art der Latenz
Vermögenswerte Steuerwert > IFRS-Buchwert Aktive latente Steuern
Steuerwert < IFRS-Buchwert Passive latente Steuern
Verbindlichkeiten Steuerwert > IFRS-Buchwert Passive latente Steuern
Steuerwert < IFRS-Buchwert Aktive latente Steuern

Ein Beispiel demonstriert, wie das praktisch funktioniert. Bei einem beispielhaft angenommenen Ertragsteuersatz von 25% seien die folgenden temporary differences aufgetreten:

  1. Eine Produktionsanlage wird in der IFRS-Bilanz mit einem Zeitwert i.H.v. 600 bewertet; steuerlich muß die Anlage aber über eine längere Zeit abgeschrieben werden und hat daher noch einen Steuerbilanzwert von 800;
  2. im Fertigproduktlager haben einige Produkte durch Marktpreisrückgang nicht-permanent an Wert verloren. Die IFRS-Bewertung nach beizulegendem Zeitwert (fair value) sei daher 400; steuerlich sei aber nur ein Wert von 500 zulässig;
  3. für Spekulationszwecke gehaltene Wertpapiere (held-for-trading) haben einen nach IFRS bewerteten Börsenwert von 1.000, sind aber steuerlich nur mit 600 bewertet worden und
  4. Rückstellungen für drohende Verluste aus einem schwebenden Geschäft wurden nach IFRS i.H.v. 40 gebildet, sind aber steuerlich gänzlich unzulässig.

Das hat folgende Auswirkungen:

  1. Die Bewertungsdifferenz der Produktionsanlage ergibt eine aktive latente Steuer in Höhe von (800 – 600) × 0,25 = 50;
  2. ebenso ergibt sich aus der Bewertungsgdifferenz des Lagers eine aktive latente Steuer von (500 – 400) × 0,25 = 25;
  3. der nach IFRS höhere Ansatz der Wertpapiere ergibt hingegen eine passive latenten Steuer (1.000 – 600) × 0,25 = 100;
  4. die steuerlich gar nicht zulässige sogenannte Drohverlustrückstellung bedeutet schließlich wiederum eine aktive latente Steuer i.H.v. 40 × 0,25 = 10.

Einer latenten Steuerschuld i.H.v. 100 stehen also latente Steuerforderungen i.H.v. 50, 25 und 10 gegenüber. Diese dürfen verrechnet werden, wenn steuerlich ein Recht auf Aufrechnung besteht (z.B. §226 AO), dieselbe Steuerbehörde und dasselbe Steuersubjekt vorliegt. Bilanziell wäre im Beispiel also nur eine passive latente Steuer in Höhe der Differenz von 15 auszuweisen. Diese repräsentiert die erwartete restliche Steuerschuld aus den genannten Bewertungsdifferenzen.

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Link zum ThemaIAS/IFRS-Skript (interner Link)

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Eine Antwort

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