Bilanzanalyse: der Hammer in der dritten Liquidität

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Die Bilanzanalyse ist eine beliebte Fehlerquelle in IHK-Prüfungen (Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3). Es macht also Sinn, sich schon die grundlegenden Kennzahlenkonzepte gründlich anzuschauen. Dabei stößt man bisweilen auch auf Fallen, die bisher in den Kammerprüfungen nicht beobachtet wurden. Noch nicht. In dem Maße aber, in dem Fortbildungsgänge wie "Geprüfter Betriebswirt" kapitalmarktnaher werden, wird sowas hier prüfungsgefährlicher:

Die Klausuren-Knaller finden sich nämlich wie immer in den Einzelheiten, und nicht im großen Ganzen. Schauen wir mal, wie das aussehen kann. Hierfür brauchen wir die folgende Bilanz einer Aktiengesellschaft. Die ausgewiesenen eigenen Anteile sind Aktien, die als Teil eines Mitarbeiter-Beteiligungsprogrammes an Arbeitnehmer ausgegeben werden sollen:

 

H.B. Nichts AG
Aktiva Passiva
 
Anlagevermögen 360.000 EUR       Grundkapital 150.000 EUR
Vorräte (RHB, Ausgangslager) 100.000 EUR       Rücklage für eigene Anteile 20.000 EUR
Eigene Anteile 20.000 EUR       Jahresüberschuß 80.000 EUR
Forderungen aus L&L 270.000 EUR       Langfr. Fremdkapital 370.000 EUR
Bargeld (Kasse, Bank) 70.000 EUR       Kurzfr. Fremdkapital 200.000 EUR
 
       
 
820.000 EUR 820.000 EUR

Für das Geschäftsjahr sollen die drei Liquiditäten berechnet werden. Die Aufgabe scheint einfach, denn die Bilanz enthält wenige Daten und scheint frei von größeren Hürden zu sein. Der Klausurteilnehmer beginnt also, die Barliquidität L1 zu berechnen. Hierzu wird das Bargeld i.H.v. 70 T€uro durch die kurzfristigen Verbindlichkeiten i.H.v. 200 T€uro geteilt, 35%. So weit, so gut.

Die zweite Liquidität L2 findet man, indem man die Summe aus kurzfristigen Forderungen und Bargeld i.H.v. insgesamt 340 T€uro durch die kurzfristigen Verbindlichkeiten dividiert, macht 170%. Sieht fast schon langweilig aus, so einfach. Zu schön um wahr zu sein.

Kommen wir zur dritten Liquidität (L3). Einer handelsüblichen Formelsammlung entnehmen wir, daß das Umlaufvermögen durch die kurzfristigen verbindlichkeiten zu teilen sei. Also sind die vier Umlaufvermögensposten zu addieren (Summe = 460 T€uro) und durch die kurzfristigen Schulden i.H.v. 200 T€uro zu dividieren, macht 230% – und diese Lösung ist falsch.

Jetzt ist nämlich der Auswendiglerner dem Prüfungspoeten auf den Leim gegangen: zwar beträgt die maximale Haltefrist für eigene Anteile, die an Mitarbeiter ausgegeben werden sollen ein Jahr (§71 Abs. 3 Satz 2 AktG), aber diesen Anteilen kommen keine Rechte zu (§71b AktG). Sie sind ferner mit der in der Bilanz ja ersichtlichen Rücklage für eigene Anteile zu unterlegen (§71 Abs. 2 Satz 2 AktG und §272 Abs. 4 HGB). Ihnen kommt also keine "echte" Vermögenseigenschaft zu. Sie besitzen keine Haftungswirkung. Sie müssen also auch aus der Liquiditätsrechnung herausgelassen werden.

Für die Berechnung der dritten Liquidität sind also lediglich das Bargeld, die kurzfristigen Forderungen und die Vorräte, nicht aber die eigenen Anteile zu addieren. Dividiert durch die kurzfristigen Verbindlichkeiten führt das zu einem Ergebniswert i.H.v. 220% – Überraschung!

So kann man auch mit kleinen Sachen dem Prüfungsteilnehmer Freude machen. Wer immer schablonenhaft auswendig lernt und Formeln einfach mit Werten füllt, tappt in solche kleinen aber feinen Fallen. Es ist unerläßlich, nicht nur die grobe Einteilung der Bilanz in Anlage- und Umlaufvermögen zu kennen, sondern auch die Bedeutung der einzelnen Positionen parat zu haben. Nur dann kommt man zum richtigen Ergebnis. Zum Erfolg, wer wüßte es nicht, gibt es keinen Lift. Man muß immer die Treppe benutzen!

Links zum Thema: Fehler in IHK-Prüfungen: wieder mal die Bilanzanalyse | Fehler in IHK-Prüfungen: Die »2:1-Regel« | Fehler in IHK-Prüfungen: wieder eine neue Knallschote | Hammeraufgaben der Bilanzanalyse, ein Beispiel | Formelsammlung der BWL (interne Links)

Literatur: Zingel, Harry, "Bilanzanalyse nach HGB", Weinheim 2006, ISBN-13: 978-3-527-50251-6, Amazon.de | BOL | Buch.de. Auf der BWL-CD ohne Mehrkosten enthalten.

 

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