Rechtsentwicklung: kann ein Geschäfts- oder Firmenwert verselbständigt werden?

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"Als Geschäfts- oder Firmenwert", so weiß §255 Abs. 4 Satz 1 HGB, "darf der Unterschiedsbetrag angesetzt werden, um den die für die Übernahme eines Unternehmens bewirkte Gegenleistung den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens abzüglich der Schulden im Zeitpunkt der Übernahme übersteigt". Vereinfacht gesagt ist ein Geschäfts- oder Firmenwert also, was bei einer Unternehmensübernahme über den Wert des Eigenkapitals hinaus dem bisherigen Inhaber gezahlt wird – zum Beispiel wegen dessen bekannter Marke oder guter Einführung am Markt. Soweit der Lehrstoff. Wie immer ist die Wirklichkeit komplizierter, und das kann Stoff für gefährliche Prüfungsknallschoten bieten.

So erwarb ein Handelsvertreter mehrere Verkaufsgebiete, in denen er ausschließlich tätig war. Die alleinige Vertretung in einem geographischen Gebiet ist zunächst als Konzession ein immaterieller Vermögensgegenstand, den der Vertreter ordnungsgemäß bilanzierte und über fünf Jahre abschreiben wollte. Das zuständige Finanzamt sah das anders und hielt die Alleinvertretung für einen Geschäfts- oder Firmenwert, der über 15 Jahre abzuschreiben sei (§7 Abs. 1 Satz 3 EStG). Das ist insofern interessant als hier keine Unternehmensübernahme vorliegt (und auch kein Konzernverhältnis). Der Vertreter hat nur das Vertretungsrecht, nicht aber das vertretene Unternehmen erworben. Die Verkaufskonzession aber repräsentiert, so sahen es die Finanzbeamten, gerade die Wertschätzung des vertretenen Unternehmens am Markt und damit dennoch einen gleichsam verselbständigten Geschäfts- oder Firmenwert außerhalb von Übernahmegeschäften. Das Vertriebsrecht ist zudem entgeltlich erworben und damit eben kein originärer Geschäfts- oder Firmenwert, für den ein Aktivierungsverbot gelten würde.

Diese Sichtweise hat sich jedoch nicht durchgesetzt, noch nicht. Schon 1989 urteilte nämlich der BFH, daß es sich bei Vertreterrechten um abschreibungsfähige Wirtschaftsgüter handele, deren Nutzungsdauer individuell festzustellen sei (Urteil vom 18.01.1989, X R 10/86, BStBl. II S. 549). Auch im vorliegenden Fall blieb der BFH bei dieser Meinung (Urteil vom 12.07.2007, X R 5/05). Die steuerliche Abschreibungsfrist für Geschäfts- oder Firmenwerte sei nicht anwendbar. Fraglich ist, wie lange dieser Standpunkt noch bestehenbleibt.

Schon im vorigen Beitrag stellten wir an dieser Stelle dar, daß die Entwicklung bei der Bilanzierung der Geschäfts- oder Firmenwerte zu einem Verbot der planmäßigen Abschreibung geht. Folgt man grundsätzlich der Ansicht, daß auch bei entgeltlich erworbenen Vertretungsrechten der Kaufpreis mit der Marke und der Marktposition des vom Vertreter repräsentierten Unternehmens zusammenhängt, so ist dieser Sachverhalt einem Geschäfts- oder Firmenwert mindestens sehr ähnlich. Sollte der Gesetzgeber ähnlich IFRS 3.55 auch im deutschen Recht die planmäßige Abschreibung von Geschäfts- oder Firmenwerten ausschließen, wäre es nur noch ein sehr kurzer Schritt, dies auch auf entgeltlich erworbene Vertreterrechte anzuwenden.

Allerdings können diese befristet sein und nur gegen monatliche oder jährliche Gebühr überlassen werden. Dieser Unterschied könnte ein "Übergreifen" der zu erwartenden Neuregelung bei den Geschäfts- oder Firmenwerte auf Verkaufskonzessionen und ähnliche Rechtsverhältnisse einstweilen aufhalten. Eine rein aufwandswirksame Buchung kann dann angemessen sein. Eine reformfeste Gestaltung jetzt kann also viel Ärger in naher Zukunft ersparen.

Das gilt auch für die Teilnehmer einschlägiger Aus- und Fortbildungen. Die müssen damit rechnen, daß die Aufgabenpoeten solche Urteile kennen, und daraus prachtvolle Prüfungsfallen zaubern. Dagegen hilft jedoch, wie immer, eine klausurfeste Prüfungsvorbereitung, denn zum Erfolg gibt es keinen Lift. Man muß immer die Treppe benutzen, und dieses hier ist eine ganz kleine Stufe.

Links zum Thema: Bilanzierung: Was ist eigentlich ein Geschäfts- oder Firmenwert? | Abschreibung der immateriellen Vermögensgegenstände: grundlegender Paradigmenwechsel in Handels- und Steuerrecht | BilMoG: Übersicht über geplante Neuregelungen im Handelsrecht | Skript zu IAS/IFRS (interne Links)

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