ABC-Analyse: böse Fallen auch in einfachen Verfahren

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Die ABC-Analyse gehört zu den beliebtesten aber auch zu den einfachsten numerischen Methoden. In der Materialwirtschaft dient sie der Definition von Beschaffungsstrategien und im Marketing der Marktsegmentierung und der darauf aufbauenden Definition segmentspezifischer Aktivitäten. Ich habe in den vielen Jahren, die ich das hier schon mache, zahlreiche Diplom- und Studienarbeiten gesehen, die dieses Verfahren einsetzen. Doch selbst in einer so scheinbar einfachen Methodik lauern noch immer böse Fallen. Das wissen auch die Aufgabenlyriker. Schauen wir mal, was das bedeuten kann:

Diesem einfachen Beispiel liegt eine Datenbank mit nur zehn Kunden zugrunde. Bei einer so kleinen Zahl von Kunden wäre natürlich gar kein formales Planungsverfahren nötig, aber die Sache soll ja übersichtlich bleiben:

 

Rohdaten aus Datenbank  

 

  1. Sortieren der Daten, absteigend, nach zu analysierendem Kriterium (hier: nach Umsatz)
  2. Berechnen der Summe aller zu analysierenden Kriterien (hier: Summe Umsatz = 136.000,00 Euro)
  3. Berechnen des Anteiles jedes Kunden an diesem Gesamtumsatz in Prozent aufgrund der sortierten Daten aus Schritt 1
  4. Kumulieren der Prozentwerte aus dem vorstehenden Schritt
  5. Festlegen der A/B– und der B/C-Grenzen, so daß die drei Kategorien "A", "B" und "C" entstehen

 

Die drei Kategorien werden im Marketing als Marktsegmente bezeichnet. Für jedes Marktsegment können unterschiedliche Verkaufsstrategien entwickelt werden.

 
Nr Umsatz pro Jahr
 
1 4.000,00 €
2 3.000,00 €
3 7.000,00 €
4 60.000,00 €
5 6.000,00 €
6 40.000,00 €
7 5.000,00 €
8 2.000,00 €
9 8.000,00 €
10 1.000,00 €

 

Schauen wir mal, wie das im vorliegenden Fall aussehen würde:

 

Rohdaten aus Datenbank Eigentliche ABC-Analyse (Arbeitsschritte vorstehend)
 
Nr Umsatz Sortierte Daten Anteil Kumuliert Gruppe
 
1 4.000,00 € 60.000,00 € 44,12% 44,12% A
2 3.000,00 € 40.000,00 € 29,41% 73,53% B
3 7.000,00 € 8.000,00 € 5,88% 79,41% B
4 60.000,00 € 7.000,00 € 5,15% 84,56% B
5 6.000,00 € 6.000,00 € 4,41% 88,97% B
6 40.000,00 € 5.000,00 € 3,68% 92,65% C
7 5.000,00 € 4.000,00 € 2,94% 95,59% C
8 2.000,00 € 3.000,00 € 2,21% 97,79% C
9 8.000,00 € 2.000,00 € 1,47% 99,26% C
10 1.000,00 € 1.000,00 € 0,74% 100,00% C
 
Summe 136.000,00 € 136.000,00 € 100,00%    

 

Während die meisten Teilnehmer die oben genannten Arbeitsschritte beherrschen, einige wenige auch mit elektronischen Mitteln (was die eigentlich praxisrelevante Kompetenz ist), kümmern sich die meisten Teilnehmer nicht um die konkrete Festlegung der A/B– und der B/C-Grenze. Genau hier aber werden Fehler gemacht die zeigen, daß die Sache eben nur mechanisch auswendig gelernt aber nicht wirklich verstanden wurde.

So wurde im vorstehenden Fall die A/B-Grenze bei 66,67% willkürlich festgesetzt. Das entspricht der Gepflogenheit in vielen Lehrbüchern, kann also ohne Bedenken so gelernt werden. Richtig ist es dennoch nicht immer: hier ist nämlich der kumulierte Anteil der beiden größten Kunden 60.000,00 € + 40.000,00 € = 100.000,00 €, was 73,5294% von der Gesamtsumme i.H.v. 136.000,00 Euro ausmacht. Die A/B-Grenze ist also überschritten und der Kunde Nr. 6 mit einem Umsatz i.H.v. 40.000,00 Euro wird schon als B-Kunde behandelt. Das aber ist hier grundfalsch – trotz richtiger Anwendung der Methode.

Besser wäre offenbar, die A/B-Grenze bei 75% (willkürlich!) festzusetzen, denn die Kunden Nr. 4 und 6 sind dann als A-Kunden klassifiziert. Das aber ist erst die halbe Miete: schauen wir uns nämlich alle restlichen Kunden außer den Nummern 4 und 6 an dann stellen wir fest, daß diese alle eigentlich Kleinkunden sind. Die B/C-Grenze wird zwar i.d.R. bei 90% festgesetzt, aber hier ist das wiederum falsch: die Kunden mit 8.000 Euro, 7.000 Euro und 6.000 Euro unterscheiden sich nicht wirklich signifikant den den übrigen Kunden am unteren Ende der Skala. Hier, und nur hier wäre es also sinnvoll, die B/C-Grenze gänzlich zu ignorieren. Das steht nicht im Lehrbuch (und kann nicht auswendig gelernt werden), sondern ergibt sich nur aus der Datenlage dieses Beispieles.

Eine bessere Auswertugn derselben Ausgangsdaten wäre also:

 

Rohdaten aus Datenbank Eigentliche ABC-Analyse (Arbeitsschritte vorstehend), richtigere Klassifizierung
 
Nr Umsatz Sortierte Daten Anteil Kumuliert Gruppe
 
1 4.000,00 € 60.000,00 € 44,12% 44,12% A
2 3.000,00 € 40.000,00 € 29,41% 73,53% A
3 7.000,00 € 8.000,00 € 5,88% 79,41% C
4 60.000,00 € 7.000,00 € 5,15% 84,56% C
5 6.000,00 € 6.000,00 € 4,41% 88,97% C
6 40.000,00 € 5.000,00 € 3,68% 92,65% C
7 5.000,00 € 4.000,00 € 2,94% 95,59% C
8 2.000,00 € 3.000,00 € 2,21% 97,79% C
9 8.000,00 € 2.000,00 € 1,47% 99,26% C
10 1.000,00 € 1.000,00 € 0,74% 100,00% C
 
Summe 136.000,00 € 136.000,00 € 100,00%    

 

Nur wer es so macht kriegt in dieser Aufgabe die volle Punktzahl. Jede andere Lösung ist, selbst wenn alle Regeln richtig angewandt werden, nicht vollständig richtig. Dies ist der Unterschied zwischen dem Auswendiglerner und dem, der wirklich versteht, also der Unterschied zwischen Wissen, können und Erkennen. Das hier ist eine Stufe auf der Treppe, die zum Erfolg führt…

Ach ja, die rote Kirsche auf dem Sahnehäubchen fehlt ja noch: wie werten wir diese Datenlage aus strategischer Sicht aus? Na? Richtig: das Marktrisiko der Unternehmung im Absatzmarkt ist vergleichsweise groß, weil eine Abhängigkeit von den beiden A-Kunden besteht. Diese sind die Key Accounts. Verlieren wir die, müssen wir zumachen. Alle Marketinganstrengungen sollten sich also kurzfristig auf Pflege und Ausbau der Beziehung zu diesen beiden Schlüsselkunden beziehen; lang- und mittelfristig sollte man aber auch an der Verbesserung der Kundenstruktur arbeiten. Die Lorenz-Kurve, so die mathematische Darstellung, ist zu steil. Sie muß flacher werden. Das wäre, bei diesen Ausgangszahlen, eine wesentliche Empfehlung an die Geschäftsleitung.

Links zum ThemaWissen, Können und Erkennen, oder von der Treppe, die zum Prüfungserfolg führt | Materialwirtschaftliche Strategiedefinition: wie man mit Kundenkarten knackig Kosten spart (interne Links)

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Eine Antwort

  1. 13.05.2013

    […] Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Kundenverhalten zu erfassen und auszuwerten. Besonders einfach geht dies mit der ABC-Analyse, einem Verfahren, dass häufig auch im Zeitmanagement angewandt wird. Hierbei werden die Kunden in drei Gruppen eingeteilt. A-Kunden erzielen den höchsten Umsatz (insgesamt 80%), als B-Kunden werden alle mittelstarken Kunden klassifiziert, während die C-Kunden die Kunden mit der geringsten Bedeutung sind. Die A-Kunden erhalten gemäß dem Ziel der Gewinnoptimierung das höchste Maß an Aufmerksamkeit, gleichzeitig wird versucht, die Kundenbindung zu den B-Kunden zu intensivieren. Die C-Kunden sind sozusagen die Beigabe, auf die bei der Planung im Unternehmen jedoch keine oder nur kaum Rücksicht genommen wird. Wissenswertes zur ABC-Analyse, die zu den beliebtesten, aber auch einfachsten rechnerischen Auswertungsmethoden gehört, lesen Sie auch hier. […]