Geprüfter Betriebswirt: die Fallen der Finanzwirtschaft oder die notwendige Reform der Reform

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Seit gut einem Jahr hat der Geprüfte Betriebswirt eine neue Verordnung und einen neuen Rahmenstoffplan. Auch neue Textbände sind seit einiger Zeit lieferbar. Erstmals wurde hier jetzt auch das Fach "Finanzwirtschaftliche Steuerung des Unternehmens" mit den neuen Unterlagen (fast) vollständig unterrichtet. Dabei sind die Schwächen und Widersprüche der neuen Planung deutlich zu Tage getreten. Die Fehler wurden diesmal aber nicht von den Autoren der Textbände gemacht, sondern schon bei der Konzeption des zugrundeliegenden Rahmenstoffplanes.

Das fängt schon mit der Sprachregelung an, denn "finance" bedeutet im englischen Sprachgebrauch alles, was irgendwie mit Geld und Rechnungswesen zu tun hat, in deutsch aber nur "Finanzen", also Zahlungen im engeren Sinne. "Finanzwirtschaft" wäre damit in der deutschen Betriebswirtschaft eher "Investition und Finanzierung". Dennoch werden das Controlling in dem neuen Textband auf 22 Seiten und Management-Informationssysteme auf ganzen 8 Seiten abgehandelt. Etwas knapp. Anscheinend konnte man sich nicht entscheiden, was man hier unter "Finanzwirtschaft" verstehen will, oder auch nur Raum für künftige Prüfungsfallen schaffen.

 
 

Fehler im Stoffplan-Design

Textband »Finanzwirtschaftliche Steuerung«
 

Der völlig ungenießbare Rahmenstoffplan ist kaum mit sinnvollen Inhalten zu füllen

 

Zum Controlling gehören auch Budgetierung, Plan- und Prozeßkostenrechnung und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen. Voll- und Teilkostenrechnungen, eigentlich traditionelle Verfahren, wurden hingegen nicht in den IHK-Textband aufgenommen. Ob das auch die Prüfungspoeten wissen, werden wir sehen. Die Teilnehmer hingegen wissen nichts von den zugrundeliegenden Definitionen, wenn sie sich nur das IHK-Material durchsehen (und es die Dozenten ausschließlich verwenden), was ein großes Manko ist: schließlich ist die Abgrenzung zwischen Auszahlungen, Ausgaben, Aufwendungen und Kosten keineswegs trivial, und zu verstehen, warum veränderliche Kosten noch lange nicht variabel sind und die Schuldzinsen nichts in der Kostenrechnung zu suchen haben macht manchen Teilnehmern große Mühe. Anscheinend auch den Autoren des Textbandes, die solche Themen mit genereller Nichtachtung strafen. Genau wie viele Betriebe, die hier nämlich was dazulernen könnten. Zudem waren solche Grundkonzepte bisher stets in allerhöchstem Maße prüfungsrelevant.

 

Aber auch die "eigentlich" finanzwirtschaftlichen Themen lassen einen roten Faden vermissen. Kapitel scheinen kaum verbunden nebeneinander zu stehen. So unterscheidet man in der Investitionsrechnung bekanntlich einen Kanon von statischen und dynamischen Methoden. Die sucht man in der finanzwirtschaftlichen Steuerung vergeblich. Nur die Kapitalbedarfsrechnung wird vergleichsweise tiefgründig betrachtet. Kostenvergleichsrechnung, interner Zinsfuß, Kapitalwert – Fehlanzeige. Erst ganz am Schluß, nach den Finanzierungsthemen, findet man in Kapitel 4 des Textbandes "finanzwirtschaftliche Steuerung" Wirtschaftlichkeitsüberlegungen und Ersatzrechnungen – die aber eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben, denn Wirtschaftlichkeit ist per definitionem das Verhältnis zwischen Ertrag und Aufwand, aber eine Ersatzrechnung basiert auf Kosten (statische Methoden) oder auf Zahlungen (dynamische Verfahren). Diese feinen aber sehr grundlegenden Unterschiede werden völlig ignoriert. Waren sie den Textbandautoren oder den Schöpfern des Rahmenstoffplanes nicht bekannt?

Selbst im Bereich der Finanzierung in Kapitel 3 des fraglichen IHK-Textbandes scheint keine Ordnung zu herrschen. Es mag Sinn machen, mit der Kapitalbedarfsrechnung anzufangen. Daß die Kenntnis der einzelnen Bilanzpositionen vorausgesetzt wird, kann man allenfalls noch mit der hohen fachlichen Anbindung des Betriebswirte-Lehrganges entschuldigen, obwohl die Lehrpraxis immer zeigt, daß man eben nicht voraussetzen kann daß jeder weiß, was eine Kapitalrücklage ist oder wofür man eine Rücklage für eigene Anteile bildet. Eine grundlegende Systematisierung der Finanzierungsarten wie in diesem Artikel vorgeschlagen, unterbleibt völlig. Dafür werden beispielsweise Basel II (S. 48 ff) oder Derivatgeschäfte (S. 71 ff) vergleichsweise tiefgreifend behandelt. Beides gehört aber eigentlich eher in die Bankbetriebslehre. Dies alles macht den Eindruck, daß schon den Rahmenstoffplanautoren die inhaltliche Orientierung im Thema fehlte und die Textbandautoren nicht wußten, wie sie mit der krausen Vorgabe umgehen sollten.

Machen wir das an ein paar weiteren Beispielen fest: in S. 56 ff geht der Textband auf die Fremdkapitalbeschaffung börsennotierter Unternehmen ein. Zu den GmbHs schweigt er sich aus. Die aktienrechtlichen Regeln zur Kapitalbeschaffung (§§182-221 AktG) oder -senkung (§§222-240 AktG) fehlen und von Aktiengattungen oder gar Depotstimmrechten erfährt der Textbandleser nichts. Sollte er aber, denn das wurde immer wieder in Prüfungen gesichtet. Dafür liest man aber was von Treasury Bonds, dem rechnerischen Kurswert der Anleihekomponente bei Wandelanleihen (S. 59) oder Swapgeschäften (S. 61). Jemand hat anscheinend den Betriebswirte-Lehrgang mit einem Kurs für Börsenspekulanten verwechselt, und diese inhaltlichen Irrungen wurden schon im Rahmenstoffplan gemacht. Dem folgt das Inhaltsverzeichnis der Textbände nämlich wortgetreu. Die Not der Textbandautoren, diese ungenießbare Vorgabe mit wenigstens etwas Leben zu füllen, ist mit Händen zu greifen. In meiner Eigenschaft als Autor beneide ich sie nicht um diese Arbeit.

Für die Dozenten wie für die Teilnehmer ist das aber ein Risiko besonderer Art: entweder lehrt man als Dozent erst die bilanziellen und theoretischen Grundlagen der Finanzierung, und ignoriert dann schon aus Zeitgründen die höhere Lehre der Börsenspekulation. Das aber kann in der Prüfung böse enden. Oder man unterrichtet über die Köpfe der meisten Teilnehmer hinweg die Swapsätze, ABS-Transaktionen (S. 66) und Rendite-Risiko-Ratios (S. 62), erntet aber Ärger mit den Teilnehmern, denen nicht klar ist, was überhaupt das Wesen der Aktie ist. Oder, was ein "Equity-Kicker" ist, S. 47, in der Tabelle. Wir kritisieren in diesem Zusammenhang nicht die grundlegend hohen fachlichen Ansprüche, die offensichtlich beabsichtigt sind, sehr wohl aber die viel zu weitreichende Orientierung auf spekulative Finanzwirtschaft bei nahezu vollkommener Ausblendung der internen Unternehmenssteuerung. Wer diesen Lehrgang erfolgreich und nach Rahmenstoffplan absolviert, kann danach als Börsenspekulant auftreten aber kein betriebliches Investitionsprojekt planen. Der Betrieb ist aber der Ort der Faktorkombination und der Betriebswirt der Faktoroptimierer. Lineare und andere Rechenmethoden sowie strategische Grundkonzepte sind der hier weitgehend verschwiegene fachliche Rahmen. Ist das etwa nicht mehr modern?

Ich habe wenigstens in dem Finanzwirtschafts-Bereich den dringenden Verdacht, daß man schon bei der Festlegung des Rahmenstoffplanes den Boden unter den Füßen verloren hat – oder ein von ganz oben angeordnetes politisches Kalkül der Abwendung von produktiver und werteschaffender Wirtschaft verborgen waltet. Das dient weder der Lehre noch dem Erfolg des Lehrganges. Der Finanzwirtschafts-Textband taugt nichts, aber das dürfte in diesem Fall mal nicht an der Kammer und ihren Textbandautoren, sondern an der weitgehend an der zu erfüllenden Rahmenstoffplan-Vorgabe liegen. Größere Probleme in Prüfungen werden erwartet – je nach Art der Umsetzung durch die Aufgabenausschüsse. Bei mir bleibt kurz vor dem Ende des Themas hier an der Kammer ein sehr schales Gefühl zurück. Selbst wer gründlich paukt und das nötige Glück hat, gewinnt dadurch keine grundlegende Orientierung im Thema. Die muß er eigentlich schon mitbringen, um den Lehrgang überhaupt zu beginnen. Vielleicht liegt dieser Widerspruch am Versuch der Kammer, den Betriebswirte-Lehrgang auf Master-Niveau zu heben. Das aber halte ich für unmöglich, denn dann müßte man berufsbegleitend an Abenden und Wochenenden mehr vermitteln als die Professoren in einem Diplomstudium, eine Illusion.

Hier ist übrigens aufgefallen, daß mit der neuen Prüfungsverordnung die Fluktuation an Teilnehmern drastisch zugenommen hat. Sind die Leute von möglicherweise überzogenen Forderungen des Rahmenstoffplanes abgeschreckt? Geben Sie auf weil sie merken, daß Sie es ohnehin nicht schaffen – oder hat man die faktischen Zulassungsvoraussetzungen zu weit gesenkt, um den Lehrgang überhaupt beginnen zu können? Die gerade erst in Kraft getretene Reform des Betriebswirte-Lehrganges bedarf dringend selbst einer Reform. Die wäre meines Erachtens nach im Rahmen der bestehenden Verordnung machbar, denn sie müßte sich nur auf den Rahmenstoffplan beziehen. Der aber muß sofort überarbeitet werden, und mit ihm die Textbände und anderen Materialien. Leider habe ich aber wenig Hoffnung, daß dies auch wirklich passiert. Dialogbereitschaft wird dennoch zugesichert.

Links zum ThemaGeprüfter Betriebswirt: neue Verordnung, neue Prüfung – neues Spiel, neues Glück | Geprüfter Betriebswirt: Hinweise zum neuen Rahmenstoffplan | IHK-Textbände: wie und warum man sie benutzen sollte | Geprüfter Betriebswirt: was zum Teufel ist eine dynamische Kapitalbedarfsrechnung? | Finanzierungsarten: was Du heute kannst besorgen… (interne LinksW. Bertelsmann Verlag (externe Links)

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