Abkürzungen, Akronyme, Anglizismen: so einfach kippt der Auswendiglerner…

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Die Qualitöter sind dafür bekannt, Abkürzungen, aus Anfangsbuchstaben zusammengesetzte Kunstworte (Akronyme) und Anglizismen zu lieben, denn so manches im QM ist im Grunde nichts als die Summe aus gesundem Menschenverstand und Kants berühmtem kategorischen Imperativ, niemandem etwas anzutun, was man nicht selbst erleben möchte. Da machen sich abgekürzte Fachbegriffe viel komplexer, wichtiger und hochtrabender. Das wissen auch die Aufgabenpoeten – und zaubern Prüfungsfragen mit kryptischen Schlüsseln, die das Transferwissen des Teilnehmers testen. Wer hier nur auswendig lernt, hat gleich verloren. Zum Beispiel bei diesem knackigen kleinen Knaller hier:

Eine neue technische Anlage ist mit einem Steuerungssystem nach dem »Advance Control«-Prinzip ausgestattet. Beschreiben Sie das »Advance Control«-Prinzip und erläutern Sie den Unterschied zu SPC.

Der mit dieser Prüfungsfrage konfrontierte Prüfungsteilnehmer kratzt sich zunächst am Kopf und kramt dann in der Erinnerung an Lektüre und Lehrveranstaltung nach dem "Advance Control" Prinzip, das im Hauptspeicher aber nicht aufzufinden ist. Auch ein Datenträgerzugriff in den IHK-Skripten fördert keine Treffer zu Tage. Was also hier als Antwort hinschreiben?

Auch der unterrichtende Dozent, der diese Frage sieht, kratzt sich am Kopf, denn er hat ebenfalls den Begriff noch nie gehört. Nicht nur weil das in keinem IHK-Skript auftaucht sondern auch, weil das kein feststehender Begriff wie SPC oder FMEA ist. Es im Unterricht nicht erwähnt zu haben ist also kein Fehler des Dozenten, sondern ein Fehler der Prüfungsfrage. Wir wissen ja, daß manche Fehler in Prüfungsveranstaltungen in dem Prüfungsexemplar sitzen und manche davor. Diese ist anscheinend ein Fehler, der in dem Prüfungsexemplar sitzt (und nicht davor). Aber ist das auch wirklich ein Fehler?

Vielleicht ist die Frage auch beabsichtigt so gestellt, denn sie enthält selbst einen Lösungshinweis. Wer den sieht, und richtig schließt, hat keine Probleme: SPC, so sollte man wissen, ist ein Akronym für "Statistical Process Control", also etwa statistische Prozeßlenkung. Statistische Methoden wie die das Rechnen mit Verteilungsarten, die Kombinatorik, die FMEA oder die darauf aufbauende Pareto-Analyse untersuchen abgelaufene Prozesse auf Fehler und versuchen, Verbesserungskonzepte zu finden. Sie denken dabei stets rückwärts, d.h. der zu untersuchende Prozeß muß bereits ausreichend oft abgelaufen sein um genügend statistisches Planungsmaterial (also ein ausreichend hohes n) zu haben. Erst dann kann man mit den statistischen Ergebnisdaten auch künftige Prozeßabläufe lenken und verbessern.

Das aber ist genau der Ansatz: Advance Control ist die vorweggenommene Steuerung. Das Advance Control System steuert einen Prozeß schon während seines u.U. sogar ersten Ablaufes, um Fehler möglichst nicht auszuwerten, sondern sogleich an der Entstehung zu hindern. Advance Control "versteht" den Prozeß und seine Meßwerte und kann schon während des Produktionslaufes steuernd und optimierend eingreifen. Das ist der Unterschied: SPC denkt nach, Advance Control denkt vor. So einfach ist das. Diesen Schluß muß man dabei fällen – und es wundert mich nicht wenn es durchaus beabsichtigt war, daß hier um die Ecke gedacht werden soll. Diese Fähigkeit soll geprüft werden, nicht die Fähigkeit, Inhalte aus Textbänden auswendig zu lernen.

Und das ist weder falsch noch unfair, sondern einfach nur gehobenes Niveau einer Prüfung, die auf das mittlere Management vorbereiten will.

Link zum Thema: Skript über ISO 9000 und TQM (interner Link)

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