Hammeraufgaben der Bilanzanalyse, ein Beispiel

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Als besonders schwer werden meist Aufgaben empfunden, die Grenzen überschreiten. Sie sind gleichsam unscharf, weil sie keinem Fachbereich zuzugehören scheinen. Solche Aufgaben stehen dann meist oben auf der Treppe, die bekanntlich dorthin führt, wo kein Lift hinführt, nämlich zum Erfolg. Schauen wir uns mal ein Beispiel für die zingelsche Unschärferelation an.

Erschwerend kommt in diesem Fall das Vorhandensein einer Vielzahl unnötiger Daten hinzu. Man muß also wissen, was man wofür braucht, und ignorieren, was man nicht braucht. Und beides voneinander unterscheiden können. Dabei ist die Lösung ganz einfach – ein untrügliches Zeichen für eine gut gestellte Prüfungsaufgabe, denn er Teilnehmer soll nicht endlos schreiben müssen. Wenige Zahlen und Formeln sollen den Ausschuß erlauben zu beurteilen, ob etwas vertieft verstanden wurde.

Bilanz der H.B. Nichts GmbH
Aktiva Vorjahr Berichtsjahr   Passiva Vorjahr Berichtsjahr
 
Anlagevermögen 1.200.000 1.300.000       Eigenkapital 950.000 950.000
Rohstoffe 300.000 340.000       langfr. Bankdarlehen 1.200.000 1.150.000
Ausgangslager 520.000 580.000       kurzfr. Verbindlk. 720.000 1.130.000
Forderungen aus L&L 800.000 900.000            
Kasse, Bank 50.000 110.000            
 
             
 
  2.870.000 3.230.000     2.870.000 3.230.000

Versuchen wir es also erstmal mit der vorstehenden Bilanz. Der Umsatz betrug im gleichen Zeitraum netto 2.640.000 Euro und der Gemeinkostenaufschlag 20%. Ein Eiserner Bestand wird nicht geführt. Ermittelt werden soll die mittlere Lagerdauer der Artikel im Ausgangslager. Arghh…

Sobald wir uns von dem Schreck erholt haben stellen wir fest, daß hier nicht, wie üblich, Liquiditäten und Anlagedeckungen oder Verschuldungsgrade und Rentabilitäten gefragt sind, sondern eine anscheinend materialwirtschaftliche Kennzahl. Die freilich ist zugleich eine bilanzanalytische Größe, denn sie sagt etwas über die Lage der Unternehmung aus, ist also auch für den Abschlußleser interessant. Traditionelle Fächergrenzen werden also gesprengt, wohl kaum zufällig. Und was Umsatz und Gemeinkostenzuschlag mit der Sache zu tun haben, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Wohl aber auf den zweiten…

Aus der Formelsammlung (oder dem Gedächtnis) entnehmen wir zunächst die Standardformel für die Lagerumschlagshäufigkeit. Hierzu gab es an dieser Stelle vor knapp einem Jahr eine Diskussion, die im vorliegenden Fall jedoch gar nicht erst aufkommt, denn ein eiserner Bestand ist ja nicht ersichtlich. Ebenso keine Bestellmenge. Woher zum Teufel nehmen wir aber den Jahresverbrauch und den Durchschnittsbestand zum Einsetzen und Ausrechnen?

Der Teufel (oder der Aufgabenlyriker, also jemand anders) will, daß der Jahresverbrauch schon da steht – nämlich in Gestalt des Jahresumsatzes. Man muß aber in Geldbeträgen anstatt in Mengen denken, also Bekanntes analog anwenden. Auch der Durchschnittsbestand wird uns auf dem Silberteller serviert: aus dem Anfangs- und dem Schlußbestand des Ausgangslagers ermitteln wir nämlich einen ØBestand = 550.000 Euro.

Den darf man freilich noch nicht in die Formel einsetzen, denn er ist nicht mit dem Umsatz vergleichbar: im Umsatz ist ja der Gemeinkostenzuschlag berücksichtigt. Wir schlagen also einfach den Zuschlag i.H.v. 20% auf den Durchschnittswert des Lagers auf, und erhalten 660.000 Euro. Teilen wir den Jahresumsatz i.H.v. 2.640.000 Euro durch diesen Wert, so erhalten wir die Lagerumschlagshäufigkeit – von genau 4.

Natürlich hätte man auch den Gemeinkostenzuschlag i.H.v. 20% vom Jahresumsatz subtrahieren können und wäre bei einem Wert von 2.200.000 Euro gelandet: dieser Wert durch 550.000 Euro ergibt aber eben dieselbe Umschlagshäufigkeit von vier.

Und das ist schon mehr als die ganze Miete: teilen wir nämlich jetzt einfach die 360 Tage durch die Umschlagshäufigkeit von 4, so erhalten wir die mittlere Lagerdauer von 90 Tagen. Voilá!

Das ist eine also echte Knallschote: wenige Fragen, ein einfacher Lösungsweg aber man muß beweisen genau zu wissen, was man tut. Denken um die Ecke, Anwenden bekannter Verfahren (Umschlagsformel) auf neue Datentypen (Geldsummen statt Mengendaten) und jede Menge überflüssige Informationen, aus denen die richtigen Daten auszuwählen sind, halten die Sache spannend – und schlagen den um, der nicht wohlvorbereitet aufläuft. Und das soll bekanntlich bisweilen vorkommen. Lagerumschlag, sozusagen.

Links zum ThemaWissen, Können und Erkennen, oder von der Treppe, die zum Prüfungserfolg führt | Die zingelsche Unschärferelation, oder wenn die Prüfung Grenzen überschreitet | Formelsammlung der BWL | Lagerdauer und Lagerumschlagshäufigkeit: Gravierende Fehler in Lehrbüchern für Auszubildende | Skript zum Jahresabschluß nach HGB | Skript zur Rechnungslegung nach IAS/IFRS (interne Links)

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