Vom Prekariat zum Sozialuterus, oder was Neusprech-Begriffe ahnen lassen

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Ein neuer Begriff macht im Zusammenhang mit der Debatte um die neue Armut die Runde, das Wort vom "Prekariat". Zu der neuen Unterschicht gehören angeblich diejenigen, die sich in einer "prekären" Lage befinden, die von nichts mehr und für nichts mehr bewegt werden können. Doch der neue Begriff läßt tiefer blicken als es den Wortschöpfern möglicherweise bewußt ist, und das liegt nicht nur daran, daß der soziologische Fachbegriff von der "Unterschicht" in der allgemeinen politischen Debatte den "Untermenschen" zu suggerieren scheint.

So impliziert das böse Wort vom "Prekariat" zunächst den prekären Mangel an Sicherheit, der zum Absturz aus dem Arbeitsmarkt und damit zu einem Herumlungern am Rande der Wirtschaft und damit am Rande der Gesellschaft führt. Das aber enthält auch einen Wunsch nach Sicherheit, denn man will ja nicht zum "Prekariat" gehören, und das tut man offenbar nicht, wenn man abgesichert ist. Wer aber ist wirklich abgesichert, wenn wir die eingefahrenen Denkmuster mal für einige Momente ignorieren?

Der außerordentlich dumme Begriff vom "Prekariat" bezieht sich nämlich auf eine abgegrenzte oder wenigstens abgrenzbare Teilmenge der Gesellschaft, zu der die, die das Neusprech-Wort in den Mund nehmen, sich selbst in der Regel nicht zählen. Sie halten sich selbst für besser abgesichert, also nicht für "prekär". Dies wiederum offenbart, daß gesellschaftlicher Aufstieg mit einer Zunahme an Sicherheit zu tun hat – oder mit einer Zunahme an Realitätsverlust, denn der Ein-Euro-Jobber ist viel besser abgesichert als jeder freiberufliche Rechtsanwalt oder Unternehmensberater: wird der Hartz-IV-Empfänger krank, so landet er in einem sozialen Netz, das zwar keine Hängematte mehr sein mag, aber im Vergleich mit dem meist völlig unversicherten Rest der Welt noch immer sehr gut dasteht. Der arbeitsunfähige Freiberufler verliert aber Auto, Haus und den ganzen Rest der weltlichen Güter, und das schneller als er gucken kann. Das also ist das wirkliche Prekariat: die Unternehmer, die Leistungsträger, die hart Arbeitenden, die Abgezockten. Die, die etwas zu verlieren haben und sich daher in einer wirklich prekären Lage befinden. Nicht die Armen, nicht die zwangsversicherte "Unterschicht". Und schon gar nicht die Beamten.

Die sind nämlich noch immer mit einer Vielzahl von Vorrechten ausgestattet, nicht zuletzt ihre Unkündbarkeit und ihre viel bessere (und viel billigere) Altersvorsorge. Einzig das Berufsbeamtentum, mit seiner Spitze in der parasitären Kaste der Berufspolitiker, zählt wirklich nicht zum "Prekariat". Es ist wirklich abgesichert. Und anscheinend noch immer das Leitbild einer risikoscheuen Nation.

Denn "Prekariat" ist ganz offenbar, so die verborgene aber wahre Bedeutung des Wortes, wer "nicht abgesichert" ist, also wer ein Risiko trägt – und das sind eigentlich alle, außer den Beamten und Berufspolitikern, die nichtmal für den Ruin des Landes zur Rechenschaft gezogen werden. Für ihre eigene kriminelle Vergangenheit schon gar nicht, wie Fischer, Trittin oder Schily bewiesen haben. Wer immer vom "Prekariat" jammert offenbart also, wo er gerne dazugehören möchte – und warum, denn die böse Welt mir ihren Risiken und Abenteuern macht immer noch Angst. Auch jetzt, da wir schon lange nicht mehr im "Hotel Mami" wohnen, dorthin aber gerne zurückkehren würden. Oder gleich in den Sozialuterus der Republik, wohlbehütet vom Geld des Steuerzahlers, fürsorglich unter Abgeordneten und Amtsleitern verteilt.

Staatliche Totalfürsorge als Lebensziel, amtliche Verblödung bei steuerfinanzierter Vollversorgung als Daseinsentwurf – so weit ist es mit Michel schon gekommen. Oder jedenfalls mit denen, die vom "Prekariat" jammern anstatt selbst anzupacken. Von unseren Eltern, die nach 1945 das Land wieder aufgebaut haben, ganz ohne Krankenversicherung und Arbeitsamt, davon gäbe es was zu lernen. Nur da mag wirklich keiner mehr zuhören, denn wir leben ja längst im kollektiven Freizeitpark, wie Helmut Kohl einst in einer programmatischen Rede wissen ließ.

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