Erstens kommt es anders zweitens als man denkt: warum Prüfungen immer schwerer werden

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Kürzlich merkte jemand im Forum für Betriebswirtschaft an, daß man derzeit mit den Prüfungen "Technischer Betriebswirt" aus den 90er Jahren nichts mehr anfangen könne, weil das Niveau dieser Prüfungsveranstaltung seither erheblich angestiegen sei. Das kann ich bestätigen – wie auch eine entsprechende Entwicklung beim Betriebswirt/IHK. Warum aber müssen Prüfungen immer schwerer werden?

Keine neue Erfahrung

Die Erfahrung konnte ich schon vor zwanzig Jahren in meinen wilden Studententagen machen: die ersten Diplomprüfungen dieser damals noch neuen Universität sahen aus wie geschenkt, aber die folgenden Jahrgänge wurden immer härter. Hammerfragen inklusive. Und das ist kein Zufall sondern anscheinend eine Gesetzmäßigkeit, vielfach aus dem Vergleich alter Prüfungen mit aktuellen Aufgaben zu bestätigen. Warum aber kommt es immer schlimmer als man denkt?

Das Wertpapier

Ein Grund ist natürlich die Wertigkeit des Abschlusses. Die steigt, wenn die Erfolgsrate sinkt. Das merkt der erfolgreiche Absolvent an den Gehaltsforderungen, die er auf das Papier begründen kann. So gesehen nützt der Anstieg des Niveaus also den Teilnehmern – wenn sie sich entsprechend vorbereiten, also immer vom Schlimmsten ausgehen.

Marketing ist nicht alles…

…aber ohne Marketing ist bekanntlich alles Nichts: Hinzu kommen nämlich stets die Marketing-Gründe eines jeden Veranstalters von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen: durch anfänglich erträgliche Prüfungen wird die Veranstaltung zunächst bekannt, und gerät damit in die Gewinnzone. Dann wird aber zugeschlagen – nicht nur beim Geld, sondern auch bei den Inhalten. Der allmähliche Anstieg des Schwierigkeitsgrades der Abschlüsse ist also ein Element des strategischen Marketings und damit vorhersagbar.

Europa und die neuen Abschlüsse

Ein dritter Grund ist vermutlich Europa, denn die mindestens formale europäische Einigung hat auch die Bildungslandschaft kräftig durcheinandergewirbelt. So werden die bisherigen deutschen Diplome zugunsten von Bachelor und Master abgeschafft, was beispielsweise die Berufsakademien zu neuen beachelor-kompatiblen Lehrplänen veranlaßt – mit neuen Vorgaben an Dozenten, härter zu prüfen. Im Falle der Industrie- und Handelskammern spekulierten wir kürzlich, daß auf die bisherigen Lehrgänge etwas ganz Neues folgen soll, das offenbar mit der neuen Prüfungsverordnung eingeleitet wird. Insgesamt bewirkt das aber auch einen erheblichen Anstieg des Schwierigkeitsniveaus.

Wer unter sich bleiben will…

…kann keine Konkurrenz vertragen: Während nämlich die Teilnehmer nach dem begehrten Zertifikat streben, wünschen die Absolventen natürlich möglichst wenig Konkurrenz, denn Angebot und Nachfrage regeln den Wert – auch bereits bestehender Abschlüsse. Ehemalige üben daher Druck auf die prüfende Körperschaft aus, die entsprechenden Hürden schleichend oder durch Einführung neuer Standards zu erhöhen – was im Prinzip nicht anders als bei Umwelt- oder Qualitätszertifizierungen ist, die ja meist kaum der Umwelt oder der Qualität sondern viel eher der Marktabschottung dienen und daher auch i.d.R. eben nicht freiwillig sind, sondern als Markteintrittsbarriere ge- oder mißbraucht werden. Nicht anders dürfte das mit Prüfungen sein, und wie bei den ISO-Zertifikaten dürfte es keiner zugeben.

Ohne Moos nix los?

Ja, und dann ist da noch das liebe Geld: das nämlich verdient der Veranstalter von Prüfungen (hingegen kaum der Prüfer selbst, denn bei dieser Tätigkeit bricht nicht gerade der Reichtum aus). Mehr Durchfaller bedeuten aber auch mehr Wiederholer und damit mehr Umsatz – was freilich auch kaum jemand zugeben würde. Gerade in Zeiten knapper Kassen und engerer Budgets dürfte das aber ein nicht zu vernachlässigender Grund sein.

Wie kommen wir zu den Symphonikern?

Üben, üben, üben – so einfach ist das. Für den Lehrgangsteilnehmer bedeuten die hier geschilderten und vom Autoren seit Jahrzehnten kontinuierlich beobachteten Tendenzen zu heftigeren Prüfungen, daß er bei der Vorbereitung auf den großen Tag pessimistisch sein muß. Wenn es schiefgehen kann, dann wird es auch schiefgehen – und zwar mit Gewißheit in der Prüfung. "Mut zur Lücke" ist ein schlechter Ratschlag: Wer versucht, etwas auf einer Backe abzusitzen, erlebt wahrscheinlich eine böse Überraschung. Zeitmangel oder Arbeitsüberlastung sind keine guten Argumente: wer zwei Jahre lang nur sporadisch aufläuft und meint, sich dann in drei Wochen solide vorbereiten zu können, der irrt mit Gewißheit. Zum Erfolg, so haben wir an dieser Stelle schon oft angemerkt, gibt es keinen Lift. Man muß immer die Treppe benutzen. Die hat aber die unschöne Tendenz, immer länger zu werden.

Links zum Thema

Forum für Betriebswirtschaft | Stöber, Raschel, Blätter: bald mit dem Waschkorb zur IHK-Prüfung? | Skript zu QM und ISO 9000 | »Rechnungswesen/Controlling«: was wir aus der Prüfung vom 02.03.2006 lernen können | Wie aus Lernen Erfolg gemacht wird | »Donald Dick«: Porno-Sprache in Übungsaufgaben! | FIFO, LIFO und die SGD: veraltete Aufgaben, falsche Lösungen | Unfaire Prüfungsfragen: Ein neues Beispiel von der SGD (interne Links)

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