Von der verlorenen Einheit, oder wer doppelt bilanziert

Share

 

 

Der Bürokratie sagt man nach, eine wuchernde Schlingpflanze zu sein, die den Keim der Kreativität und unternehmerischen Freiheit im Keim erstickt. Nachdem mich der Forennutzer Peter für meinen vorigen Artikel über die kalkulatorische Abschreibung knuddeln wollte ("Knuddelposting") überlegen wir uns an dieser Stelle, wo und wie die Bilanzierungspflichten wuchern: von der verlorenen Einheit des Bilanzrechts, oder wer doppelt bilanzieren muß.

So ist der Aufwand, der für eine ordnungsgemäße Bilanzierung getrieben werden muß, ein ganz erheblicher, und das belastet besonders kleine Unternehmen und Freiberufler mit knapper Liquidität. §5 Abs. 1 EStG legt daher fest, daß steuerliche Wertansätze nach handelsrechtlichen Grundsätzen zulässig sind, man also (eigentlich) nur ein Mal bilanzieren soll und damit steuer- wie handelsrechtlichen Vorschriften genügen könne – das sogenannte Maßgeblichkeitsprinzip. Dementsprechend können nach §254 HGB auch in der handelsbilanz Abschreibungen vorgenommen werden, die nur nach steuerrechtlichen Regeln zulässig sind – die sogenannte "umgekehrte" Maßgeblichkeit. Der Wille des Gesetzgebers ist also eindeutig, den bürokratischen Aufwand des Bilanzierenden zu reduzieren. Da aber liegt der sprichwörtliche Hase im Pfeffer.

 

  Handelsbilanz Steuerbilanz
Aktivierungsgebot Aktivierungsgebot
Aktivierungswahlrecht Aktivierungsgebot
Aktivierungsverbot Aktivierungsverbot
Passivierungsgebot Passivierungsgebot
Passivierungswahlrecht Passivierungsverbot
Passivierungsverbot Passivierungsverbot

Steuerliche Wahlrechte, Ge- und Verbote entsprechen nämlich nicht immer den handelsrechtlichen Wahlmöglichkeiten, Ge- und Verboten. Schon aufgrund der Urteile des BFH vom 3.2.1969 und vom 24.6.1969 (BStBl.II 1969, S. 291 und 581) gilt daher als Grundregel: Ein handelsrechtliches Aktivierungswahlrecht bedeutet ein steuerrechtliches Aktivierungsgebot; ein handelsrechtliches Passivierungswahlrecht ist einem steuerrechtlichen Passivierungsverbot gleichzusetzen:

Ist dies noch eine vergleichsweise übersichtliche Regel, wurde im Laufe der Zeit das Maßgeblichkeitsprinzip immer weiter durchlöchert. So sind beispielsweise die Umlaufvermögensgegenstände nach §253 Abs. 3 Satz 1 HGB bei einem niedrigeren Börsen- oder Marktpreis zwingend auf diesen niedrigeren Wert abzuschreiben, ein Ausdruck des Vorsichtsprinzipes (§252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). In der Steuerbilanz nennt sich diese Abschreibung Teilwertabschreibung und ist seit 1999 bei vorübergehender Wertminderung ausdrücklich verboten (§6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG). Wer immer also mit Material zu tun hat, das nach einem Börsen- oder Marktpreis bewertet wird, kann meist keine Einheitsbilanz mehr fertigen – muß also doppelt bilanzieren.

Im Laufe der Zeit haben sich viele weitere vergleichbare Rechtsvorschriften angesammelt, die das Maßgeblichkeitsprinzip durchbrechen, die also einen zwingenden Unterschied zwischen Steuer- und Handelsbilanz erfordern:

 

Fundstelle(n) Regelungsinhalt
§3c Abs. 1 EStG Ausgaben im Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen
§5 Abs. 4 EStG Jubiläumsrückstellungen
§5 Abs. 4a EStG Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften ("Drohverlustrückstellungen")
§6 Abs. 1 Nr. 1 EStG Teilwertabschreibungen des Anlagevermögens
§6 Abs. 1 Nr. 2 EStG Teilwertabschreibungen des Umlaufvermögens
§6 Abs. 1 Nr. 3 EStG Abzinsung von Verbindlichkeiten
§6 Abs. 1 Nr. 3a EStG Zeitanteilige Ansammlung von Rückstellungen
§6 Abs. 1 Nr. 3a EStG Abzinsung von Rückstellungen
§7 Abs. 1 EStG Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwertes
§269 HGB / §5 EStG Ingangsetzungs- und Erweiterungsaufwendungen bei Kapitalgesellschaften
§255 HGB / §§4, 5 EStG Beteiligung an Personengesellschaften
R33 Abs. 1 EStR Untergrenze der Herstellungskosten
H31c Abs. 3 EStR Aufwandsrückstellungen
R31c Abs. 11 EStR Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungen

Wer immer mit einer dieser Regelungen zu tun hat, kann also i.d.R. die Einheitsbilanz vergessen, muß also zunächst die Handelsbilanz aufstellen und dann entsprechende steuerrechtliche Korrekturen vornehmen, soweit sie den angewandten handelsrechtlichen Vorschriften widersprechen. Dies können Stornierungen handelsrechtlicher Bewertungen oder Bilanzierungen sein oder Ersetzungen der handelsrechtlichen Bewertung durch die steuerrechtliche Bewertung. Wir haben aber das Ende der Fahnenstange noch immer nicht erreicht, denn zu den oben zusammengestellten Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz treten noch die folgenden außerbilanziellen Korrekturen:

 

Fundstelle Regelungsinhalt
§4 Abs. 4a EStG Schuldzinsen aus Überentnahmen
§4 Abs. 5 Nr. 1 EStG Geschenke an Geschäftsfreunde jenseits eines bestimmten Wertes
§4 Abs. 5 Nr. 2 EStG Behandlung der Bewirtungskosten
§4 Abs. 5 Nr. 3 EStG Auswärtige Gästehäuser
§4 Abs. 5 Nr. 4 EStG Aufwendungen für Jagd, Segel- und Motoryachten und Fischerei
§4 Abs. 5 Nr. 5 EStG Verpflegungsmehraufwendungen über Pauschalen
§4 Abs. 5 Nr. 6 EStG Private Fahrzeugnutzung
§4 Abs. 5 Nr. 6b EStG Häusliches Arbeitszimmer
§4 Abs. 5 Nr. 8 EStG Geldbußen, Ordnungs- und Verwarnungsgelder
§4 Abs. 5 Nr. 8a EStG Zinsen auf hinterzogene Steuern
§4 Abs. 6 EStG Parteispenden
§10 Nr. 1 KStG Aufwendungen zur Erfüllung satzungsgemäßer Zwecke
§10 Nr. 2 KStG Steuern vom Einkommen, sonstige Personensteuern, Umsatzsteuer auf verdeckte Gewinnausschüttungen
§10 Nr. 3 KStG Geldstrafen

Ja, ein Mißstand. Wollte der Gesetzgeber einst die Bilanzierung vereinheitlichen, ist davon nicht mehr viel geblieben. Die unsystematische Art und Weise, wie Gesetze gemacht werden, führt zu einer schleichenden Bürokratisierung und gewaltigen Verkomplizierung des Steuerrechts, durch das längst selbst Steuerberater nicht mehr durchblicken. Das aber fördert informelle Vorrechte und Ungerechtigkeiten, die durch die seit Jahrzehnten überfällige Totalreform abzubauen freilich keiner den Mut hat. Auch nicht im letzten Sommer.

Auch die Globalisierung wird übrigens keine grundsätzliche Lösung bringen, aber eine Erleichterung: viele Regelungen der IAS/IFRS sind nämlich dem Steuerrecht ähnlicher als dem altdeutschen Handelsrecht; dafür kennen die IFRS von vorneherein kein Maßgeblichkeitsgrundsatz. Die Abweichungen bleiben also, werden aber weniger an Zahl und Schärfe. Immerhin etwas…

Links zum Thema: "Knuddelposting" | Die Kraft der zwei Abschreibungen, oder warum alle Anlagegüter doppelt abgeschrieben werden (sollten) | Radikale EStG-Reform: Der Entwurf von Paul Kirchhof im Wortlaut | Kirchhofs neues EStG: Weil nicht sein kann was nicht sein darf | Kirchhofs neues EStG: Vergleich mit dem EStG-Tarif 2005 | Großes Skript zu IAS/IFRS (interne Links)

Das könnte dich auch interessieren …