Qualitätsmanagement: Inhaltliche Zweifel an IHK-Prüfung

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Nachdem die Sommerprüfung im Lehrgang "Betriebswirt/IHK" vorbei ist, und sich der Staub etwas gesetzt hat, tauchen erste inhaltliche Zweifel auf. Diesmal geht es um die Prüfung im Fach "Qualitätsmanagement", die letzte Woche geschrieben worden ist: in Aufgabe 1 sollte eine Grafik reproduziert werden. Während man schon an einer Prüfungsfrage zweifeln kann, die ausschließlich Auswendiglernen als siegreiche Strategie fordert, bestehen aber auch inhaltliche Zwheifel an dem, was da gezaubert werden sollte.

Das Kano-Modell, nach IGK-Textband, S. 8Das Kano-Modell, so die Frage, sollte in einer graphischen Darstellung skizziert und erläutert werden, insbesondere hinsichtlich seiner zeitlichen Dynamik. Im Prinzip nicht gerade eine Neuigkeit, aber was der wackere Prüfungsteilnehmer diesmal aufs Papier zaubern sollte, ist nebenstehend zu sehen. Und Anlaß zu inhaltlichem Widerspruch.

Quelle für die nebenstehende Skizze ist S. 8 des aktuellen IHK-Textbandes "Qualitätsmanagement", und über die allseits bekannteQualität dieser Textbände haben wir uns hier ja schon öfters ausgelassen. Jetzt gibt es wieder einen Anlaß.

So ist die nebenstehende Skizze offensichtlich zweidimensional. Da sie keine numerischen sondern nur qualitative Werte enthält, ist sie eine Anwendung der aus dem Marketing bekannten Portfolio-Technik. In dieser Technik werden zwei Dimensionen gegenübergestellt und strategisch ausgewertet. Im Beispiel sind das der "Zufriedenheitsgrad des Kunden" (vertikal) und das Maß, in dem die Kundenerwartungen erfüllt werden (horizontal). Und genau da liegt der sprichwörtliche Hase im Pfeffer.

Indirekt wird damit nämlich vorausgesetzt, oder suggeriert, daß Zufriedenheitsgrad und Erfüllung von Kundenerwartungen voneinander unabhängige Dimensionen seien – und genau das wird heftig bezweifelt: Während beispielsweise Herzberg in seiner bekannten Motivationstheorie annimmt, man könne zugleich zufrieden und unzufrieden sein (was damit begründet wird, daß was zufrieden mache nicht zugleich unzufrieden mache, aber was Unzufriedenheit erzeuge durch seine Abwesenheit keine Zufriedenheit produziere), ist m.E. nach die Erfüllung von Kundenerwartungen und die Zufriedenheit des Kunden dasselbe. Erfüllt ein Produkt die Kundenerwartungen, oder übererfüllt es sie sogar, dann ist der fKunde zufrieden. So einfach ist das – und vor allem, so untrennbar!

Hier offenbaren sich also zugleich zwei Schwächen: einerseits wird eine mindestens zweifelhafte Grafik aus einer im IHK-Textband angegebenen japanischen Quelle kritiklos übernommen; andererseits erwarten die Prüfungslyriker aber dieselbe Kritiklosigkeit von ihren Opfern. Man soll, das ist wohl die Botschaft, auswendiglernen und die Klappe halten. Die IHK-Leergänge als Erziehung zum Untertan? Auch der zweite Teil der Kritik läßt diesen Schluß zu:

So soll das mit der "zeitlichen Dynamik" offenbar ebenfalls ohne jedes Mit- oder gar Nachdenken übernommen und auswendig wiedergegeben werden, denn es ist zweifelhaft, ob diese Entwicklung eine generelle Regel oder nur spezialgesetzlich ist. So gibt es einen Leistungsfortschritt selbst bei technischen Gütern meist nur in der Entwicklungs-, oft aber nicht mehr in der Reifephjase, was uns sagt, daß die "zeitliche Dynamik" ein sehr vorübergehendes Phänomen ist: bislang verdoppelte sich die technische Leistung typischer PC-Rechners alle ca. 18 Monate, was die Freiheit des Anwenders erhöhte, also alte Rechner im Sinne des Kano-Modells entwertete; seit einiger Zeit ist dieser Fortschritt aber zum Stillstand gekommen. Schluß mit der zeitlichen Dynamik!

Noch deutlicher ist das bei Dienstleistungen: Falls es stimmt, daß sich Deutschland in einer Dienstleistungswüste befindet, wäre sogar eine umgekehrte zeitliche Dynamik zu konstruieren – was heute gut ist, ist morgen die Begeisterungsanforderung, weil alles schlechter wird. Wer das nicht glaubt, soll man bei der Post nachfragen, oder bei der Bahn…

Liebe Prüfungslyriker, so geht das nicht. Ihr seit zwar wunderbar vorhersagbar, weil Kano ja bald jedes Mal auf die eine oder andere Art drankommt, aber daß der Interpretationsspielraum, den ich Eurer Frage vorstehend nachgewiesen habe, auch den mit der gezeigten Skizze im Lösungsvorschlag ausgestatteten Prüfern bewußt ist, wage ich zu bezweifeln. Ein wenig kreativere und vor allem sachlich knackigere Fragen wären sicher wünschenswert – und im Interesse eines kreativen Lernens. Denn wer nur auswendig paukt, was ein QM-Textband so an mehr oder weniger zweifelhaften Abbildungen ausspuckt, wird nachher das QM auch genauso rüberbringen. Und das ist, warum QM-Systeme Unternehmen nicht verbessern, sondern ruinieren.

Kreative Denkansätze für abwechslungsreiche Prüfungsfragen mit kurzweiligen Antworten sind gar nicht weit. Einfach mal hier oderhier klicken! 😉

Links zum ThemaDie IHK-Textbände: Warum sie schlecht sind, weshalb man sie dennoch braucht und wo man sie herkriegt | IHK-Lehrgänge: Das Drama mit den Textbänden | Warum Qualitätsmanagementsysteme scheitern | Betriebswirt/IHK: Verbesserungsvorschlag Nr. 1: Die IHK-Textbände | Kalkulatorische Kosten im Qualitätsmanagement? | Kundenzufriedenheit und Qualitätsmanagement im Bildungsbetrieb | Wie aus Lernen Erfolg gemacht wird | Skript zu QM und TQM | (interne Links)

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