Europa: Eine undemokratische »Verfassung«

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Schon Art. 146 GG sagt klipp und klar, daß das Grundgesetz keine Verfassung ist, denn es wurde weder vom deutschen Volk noch in freier Entscheidung beschlossen. Nicht anders scheint es jetzt bei der EU-"Verfassung" zu werden, die, wie der gegenwärtige EG-Vertrag, nur eine zwischenstaatliche Vereinbarung ist. Undemokratische Traditionen sterben halt nicht aus – oder etwa doch?

Kein Volk, keine Verfassung

So ist schon die Bezeichnung des Werkes als "Verfassung" eine Irreführung, denn die Entstehung einer Verfassung setzt das Bestehen einer konstituiven (verfassunggebenden) Gewalt voraus. Was schon beim Grundgesetz in die Hose gegangen ist, hat auch in Europa nicht gewirkt, denn die "Verfassung" wurde, wie das Grundgesetz, nicht vom Europäischen Volk ausgerufen – einfach weil es ein solches nicht gibt. Es gibt die Völker Europas, aber nicht das Europäische Volk. Stattdessen wurde die "Verfassung" von Volksvertretern ausgehandelt, denen – mit Ausnahme der EU-Parlamentarier – jegliche demokratische Legitimation fehlt, denn Rat und Kommission hat keiner gewählt. Die Verfassung ist daher eigentlich keine – ganz wie das Grundgesetz – aber anders als dieses "nur" ein Vertrag.

Ohne Verfassung keine Demokratie

Ein Vertrag, auch mit formalem Verfassungsrang, erfüllt aber nicht die Funktionen einer echten Verfassung, er ist nur eine Abmachung zwischen Völkern, sich an bestimmte Regelungen zu halten – und nicht der erklärte Wille des Volkes, seine Geschicke selbst zu regeln. Mangelt es aber an der konstituiven Gewalt, so fehlt es auch an Volkes Willen und damit am Volkssouverän: "We the People of the United States" beginnt die Verfassung der United States of America, ein Satz, dessen Entsprechung man in der EU-"Verfassung" vergeblich sucht, und mit "establish Justice, insure domestic Tranquility, provide for the common defence, promote the general Welfare, and secure the Blessings of Liberty to ourselves and our Posterity" setzen die US-Verfassungsväter den ersten Satz ihres hohen Werkes fort, und es wundert nicht, daß es an all diesem in Europa fehlt. Besonders an Justice, Recht, denn wenn kein Volk eine Verfassung beschließt, besteht auch keine Rechtsgrundlage für alle weiteren Rechtswerke – also Verordnungen, Richtlinien und was es noch so alles an EU-Recht gibt.

Europa bleibt sich treu

Insofern ändert sich nichts in Europa, denn seit den Römischen Verträgen kann man kaum von Demokratie im Zusammenhang mit Europa sprechen – was sich in den stets minimaleren Wahlbeteiligungen bei den Wahlen zum EU-Parlament ebenso zeigt wie im Fehlen spontaner, also nicht-verordneter Feiern zur Osterweiterung am 1. Mai 2004, einem Tag, der weitgehend in Lethargie verbracht wurde. Was für ein Unterschied zum innerdeutschen Mauerfall vor 15 Jahren! Das Volk, das nicht beteiligt wird, wendet sich ab. Nur die Obrigkeit mag das nicht wahrhaben.

Aber auch die Völker Europas?

Anders als bei Maastricht und beim Euro, wo man mindestens den Deutschen eine Volksabstimmung erfolgreich vorenthalten konnte, versucht man bei der "Verfassung" nunmehr wenigstens einen Anstrich von Demokratie zu wahren, indem man mindestens einige Völker Europas nachträglich an die Wahlurnen schickt, das Werk ihrer ungewählten Vertreter zu legitimieren. Das könnte freilich risikoreich werden, denn mindestens in Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Tschechien soll über den Verfassungsvertrag abgestimmt werden – und was man sich an Konstruktionen ausdenkt, sollte das Werk dabei durchfallen, ist derzeit noch ungewiß. Daß die Deutschen, die einst Hitler gewählt haben, nicht über die EU abstimmen dürfen, ist kein Wunder – aber das fast völlige Fehlen der osteuropäischen Neumitglieder in der Liste der Länder mit Volksabstimmungen ist verwunderlich: findet man etwa auch hier, daß alte obrigkeitsstaatliche Strukturen zuverlässiger sind?

Das Ende der Union

Eine Option zum Austritt aus der EU im Falle einer Ablehnung durch das Volk sieht der gegenwärtige EU-Vertrag jedenfalls nicht vor – er versteht sich als eine Art "Endpunkt der Geschichte", genau wie einst der Sozialismus den Kommunismus als Endlösung anstrebte, oder in den "Tausend Jahren" von 1933 bis 1945 eine noch schlimmere Endlösung der Geschichte angestrebt wurde. Kein Wunder also, daß ein Maoist Kommissionsvorsitzender wird, denn jedem Menschen, der ein Herz, ein Gewissen und minimale zeitgeschichtliche Kenntnisse hat, fallen zum Maoismus sogleich die Endlösungen in Tibet und Kambodscha als bisherige Endpunkte der Geschichte ein. Und sowas regiert nunmehr Europa. Wie lange noch ist freilich offen, denn alle künstlichen Staatsgebilde sind bisher eingestürzt: Jugoslawien hat uns ganz nah vor der Haustür gelehrt, wie die EU einst enden könnte. Wer aber aus der Geschichte nichts lernen will ist dazu verflucht, sie zu wiederholen. Die Lunte brennt jedenfalls schon – und nicht nur im Baskenland und in Nordirland!

Links zum Thema

EU-Osterweiterung: nichts zu feiern | Gesellschaft: Europas Lebenslüge bröckelt (interne Links) Originalveröffentlichung der EU-Verfassung (externer Link)

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