EU-Verfassung: Plötzlich überall Volksabstimmungen – nur nicht in Deutschland?

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Nachdem Tony Blair am Dienstag vor dem Unterhaus in London ein Referendum über die EU-Verfassung in England angekündigt hat, fordern seit gestern plötzlich auch Liberale und Sozialisten eine solche Abstimmung in Frankreich. Das Beispiel hat also in nur einem einzigen Tag Schule gemacht – was Schlimmes ahnen läßt: sollte jetzt etwa wirklich das Volk über eine Verfassung entscheiden??

In der Idee stecke ungeahnte politische Sprengkraft. So verlangen die Liberalen in England schon, die Volksabstimmung über die Verfassung mit einem zusätzlichen Referendum über den Verbleib in der EU zu verbinden. Das könnte freilich zu einem glatten Vertragsbruch ausarten, denn der EU-Vertrag kennt nur Eintritts-, nicht aber Austrittsbedingungen. Die EU hat keinen Rückwärtsgang – und doch haben die Liberalen das Undenkbare gedacht.

Aber das Beste kommt zum Schluß, wie immer: Auch Dänemark, Irland und Luxemburg haben nämlich bereits angekündigt, Referenden abhalten zu wollen, mehrere weitere wie die Niederlande, Polen, Italien, Spanien und Portugal erwägen einen solchen Schritt. Da liegt die Frage förmlich mit Händen zu greifen in der Luft, wann die entsprechende Abstimmung in Deutschland stattfindet. Bundeskanzler Schröder schiebt derzeit die Plebiszitfeindlichkeit des Grundgesetzes vor und beruft sich darauf, daß Bundestag und Bundesrat jeweils mit Zweidrittel-Mehrheit zustimmen müßten. Daß das vorgeschoben ist, wissen alle: schließlich hat man aus gutem Grund das Volk, das einst Hitler gewählt hat, nicht über den Euro abstimmen lassen, denn dann wäre das Projekt gescheitert. Wie steht es aber mit der EU-Verfassung?

Wenn Tony Blair wirklich eine Volksabstimmung durchzieht, und nicht nur aus innenpolitischen Gründen mit dem Gedanken spielt, ist das Risiko groß, ein schallendes "Nein!" zu ernten. Michael Howard, Chef der konservativen Opposition und Euroskeptiker, hat der Regierung Blair schon vorgeworfen, aus Angst vor dem wachsenden Widerstand gegen die EU die plötzliche die Kehrtwende hin zu einer Volksabstimmung vollzogen zu haben. Was aber, wovor die Kommission uns bewahren möge, wenn plötzlich aus mehreren Ländern die roten Karten in Brüssel eintrudeln? Könnte jetzt etwa dieser plötzliche Ausbruch von Demokratie der Union gefährlich werden?

Wird ein undemokratisches Gebilde plötzlich doch von Volkes Wille eingeholt? Findet jetzt die Wende in der EU statt?

Links zum Thema: EU-Verfassung: Ohne Volksabstimmung, ohne Demokratie |Deutschland noch immer ohne Verfassung: Kommentar zu Art. 146 GG | Skript zum EU-Recht (interne Links)

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