Multiple Choice: Prüfung mit verborgener Härte

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Unter "Multiple Choice" versteht man sogenannte Ankreuzfragen: Der Prüfungsteilnehmer soll aufgrund einer Frage aus einer vorgegebenen Zahl von zumeist vier bis sechs Antworten eine oder mehrere durch Ankreuzen als richtig markieren. Dieser Prüfungstyp reduziert die Arbeit des Korrektors geradezu dramatisch, denn ein einfacher Vergleich mit einer Schablone genügt zur Bewertung – kein Entziffern halbleserlich gekritzelter Antworten, keine Zweifelsfälle, keine Zwischenlösungen, keine Folgefehler. Die Kammern verwenden diesen Prüfungstyp im eher unteres Segment: bei den Bürokaufleuten, nicht bei den technischen Betriebswirten. Dennoch sind auch auf diese Art prachtvolle Fallen möglich, verborgene Härten, sozusagen.

Vorher gut zu wissen

Am Beginn einer Multiple-Choice-Prüfung sollte sich der Prüfungsteilnehmer stets versichern, nach welchen Spielregeln die Veranstaltung vor sich geht: manche Prüfungen dieses Typs verlangen nach jeweils einer einzigen richtigen Lösung, in manchen Fällen können auch mehrere Antworten gleichzeitig richtig sein. Zumeist sollte hierzu vorher eine Information bekanntgegeben werden oder spätestens aus dem Aufgabensatz ersichtlich sein. Wenn mehrere richtige Antworten möglich sind, dann ist aber auch interessant zu erfahren, wie die Bewertung ist, wenn nur eine von mehreren richtigen Antworten angekreuzt wurde: wird dann ein Teil der Punktzahl gewährt, oder werden die Punkte nur bei vollständiger Markierung aller richtigen Antworten voll und sonst gar nicht vergeben? Und wie wird verfahren, wenn neben den richtigen Antworten auch noch eine Falsche angekreuzt wurde? Entwertet das das richtige Ergebnis?

Versteckte Überraschungen

 

Welcher der nachstehenden Fälle liegt vor, wenn die Bank aufgrund eines Darlehens Zinsen von unserem bereits überzogenen Bankkonto abbucht?
[1] Auszahlung
[2] Ausgabe
[3] Aufwendung
[4] Kosten
[5] Keiner der vorstehenden Fälle

Eine beliebte Falle ist die fachlich komplexe Frage, die trotz ihrer formalen Einfachheit vertiefte Sachkenntnisse erfordert. In diesem Fall beispielsweise muß man zunächst wissen, daß Schuldzinsen stets Aufwendungen und niemals Kosten sind – denn nur und ausschließlich nur kalkulatorische Zinsen sind Zinskosten. Wer also glaubt, mit "gesundem Menschenverstand" da rangehen zu können, der scheitert mit Sicherheit. Ferner liegt hier eine Auszahlung vor, denn Buchgeld fließt durch die Zinszahlung ab. Eine weitere Falle steckt aber in der Angabe, daß das Bankkonto überzogen sei: die Zinszahlung erhöht also noch die auf dem Bankkonto ohnehin schon vorhandene Schuld. Die Zunahme einer Schuld oder Verbindlichkeit bezeichnet man aber alsAusgabe, was wiederum dem umgangssprachlichen Gebrauch dieses Begriffes widerspricht. Damit sind die Antworten 1, 2 und 3 richtig – hätten Sie's gewußt?

 

Vom Gesetz der Ähnlichkeit

 

Ein Käufer erwirbt eine kleine Menge eines Produktes, um die Eigenschaften der Ware auszuprobieren, und kauft bei Gefallen später eine viel größere Menge. Wie heißt diese Art von Kaufvertrag?
[1] Fixkauf
[2] Gattungskauf
[3] Direktkauf
[4] Kauf auf Probe
[5] Kauf nach Probe
[6] Kauf zur Probe

Haben wir oben schon gesehen, daß auch Multiple Choice Fragen vertiefte Fachkenntnisse erfordern können, so sehen wir nun, daß deren besondere Härte oft in der Ähnlichkeit der Antworten verborgen liegt. Man muß also die Fragen ganz genau lesen und überlegen, wie man mit Antworten umgeht, die fast gleich zu sein scheinen. So ist in diesem Fall zwar noch klar, daß kein Fix-, Gattungs- oder Direktkauf vorliegt; aber ist das ein Kauf aufzur oder nach Probe? Zum Kauf auf Probe raschelt der gutvorbereitete Prüfungsteilnehmer mit dem Gesetz und findet die §§454-455 BGB, die aber offenbar nicht auf den Fall passen. Also nach oder zur Probe? Jetzt muß man einfach wissen, daß der Nach-Probe-Fall sich auf eine kostenlose Probe bezieht, hier also nur ein Zur-Probe-Fall vorliegen kann, weil ja zwei separate Kaufverträge genannt werden. Nur Nr. 6 ist hier also richtig – hätten Sie's gewußt?

 

Falsche Mythen

Vielfach kursieren mehr oder weniger seltsame Vorstellungen über Möglichkeiten, es sich leicht machen zu können: etwa, daß immer die längste Antwort richtig sei, oder eine bestimmte Reihenfolge in den anzukreuzenden Ziffern liege. Muß man erwähnen, daß so was Unsinn ist? Auch bei einer solchen Prüfung gibt es keinen Lift zum Erfolg. Auch hier muß man die Treppe benutzen!

Schlechte Strategie

Die Vorbereitung auf eine Multiple-Choice-Prüfung ist also nicht einfacher, nur deren Korrektur durch den Prüfer ist es. Zugleich werden aber auch Auswendiglernen und "Pauken" gefördert, denn viele Fragen erfordern ins Detail gehende Kenntnisse einzelner Sachverhalte. Hierdurch droht oft der Zusammenhang zum Ganzen verlorenzugehen. Zudem werden Kreativität und das Finden unkonventioneller Lösungsstrategien nicht trainiert – was aber doch in einer Welt, in der das Wissen eine immer geringere Halbwertszeit hat, eigentlich notwendig wäre.

Links zum Thema

Kleine Typologie unfairer Prüfungsfragen | Prüfungsfragen, in die Breite und in die Tiefe | Strategien gegen die Prüfungsangst (interne Links).

 

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