Das Ladenschlußgesetz: Symptom der deutschen Krankheit

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Es ist also wieder ins Gerede gekommen, das sinnloseste und überflüssigste aller deutschen Gesetze, und zugleich ist es geradezu ein Lehrbeispiel für den deutschen Virus, für die Krankheit eines Landes, in dem es über viel Millionen gemeldete (und zahlreiche nicht mehr gemeldete) Arbeitslose gibt, man am Sonntag aber noch immer keine Milch kaufen kann. Um die Absurdität der derzeitigen Debatte zu verdeutlichen schauen wir mal ein bißchen in die Geschichte des Ladenschlusses:

  • Am 28.11.1956 wurde das Ladenschlußgesetz nach langer Diskussion beschlossen und blieb dann fast 12 Jahre unverändert.
  • Das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24.05.1968 fügte die Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten in das Gesetz ein. Weitere kleine Änderungen wurden durch das dritte Änderungsgesetz vom 23.07.1969 (BGBl. I S. 945) in das Ladenschlußgesetz eingefügt.
  • Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02.03.1974 (BGBl. I S. 469) änderte strafrechtliche Vorschriften im Zusammenhang mit dem Ladenschluß. Dies war ein Nebenaspekt der damaligen großen sozialistischen Strafrechtsreform, unter der die Opfer von Straftätern (nicht aber die Straftäter selbst) noch heute leiden.
  • Das Zuständigkeitslockerungsgesetz vom 10.03.1975 (BGBl. I S. 685) änderte prozessuale Details.
  • Das Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung vom 05.07.1976 (BGBl. I S. 1773) ging primär auf gewerberechtliche Aspekte ein, befaßte sich aber in gutdeutscher Tradition nicht mit den verfassungsrechtlichen Fragen insbesondere der Vereinbarkeit der (damaligen) Gewerbeordnung und des Ladenschlußgesetzes mit Art. 12 GG, aber in dem verfassungslosen Zustand, in dem sich Deutschland nunmal befindet (Art. 146 GG), ist das wohl auch von nachrangiger Bedeutung.
  • Erstmals wehte mit dem Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25.07.1986 (BGBl. I S. 1169) ein liberaler Lufthauch wenigstens in die muffige Nähe des Ladenschlußgesetzes, obwohl von einer wesentlichen Lockerung noch keine Rede war. Ähnlich war es übrigens mit dem Änderungsgesetz vom 18.12.1987 (BGBl. I S. 2793).
  • Der große Wurf (na ja, für deutsche Verhältnisse!) kam mit dem Gesetz zur Einführung eines Dienstleistungsabends vom 10.07.1989 (BGBl. I S. 1382), das erstmals Einkaufen bis 20 Uhr an Donnerstagen erlaubte. Die vorherigen Diskussionen im Bundestag waren sehenswert. Auch sprachlich läßt die Bezeichnung tiefer blicken als es manchen lieb ist: wenn nur der Donnerstag der "Dienstleistungsabend" ist dann heißt das im Umkehrschluß, daß es an den anderen Tagen keine Dienstleistungen gibt – was in der bekannten deutschen Servicewüste ja auch genau der Fall ist.
  • Die nachfolgenden Änderungen wahren eher winzigster Art und erfaßten nur Details, die dem Verbraucher bei der allabendlichen Einkaufshetze im Laufschritt gewiß verborgen geblieben wären, etwa das Sechste Überleitungsgesetz vom 25.09.1990 (BGBl. I S. 2106) im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, das Eisenbahnneuordnungsgesetz vom 27.12.1993 (BGBl. I S. 2378), das sich mit der Öffnung von Verkaufstellen auf Bahnhöfen (verzeihung, nur auf Personenbahnhöfen befaßte) und das Arbeitszeitrechtsgesetz vom 06.06.1994 (BGBl. I S. 1170) sowie das Allgemeine Magnetschwebebahngesetz vom 19.07.1996 (BGBl. I S. 1018): ja, die deutschen haben ein Magnetschwebebahngesetz aber keine Magnetschwebebahn. Sie haben dafür aber das Ladenschlußgesetz und die tägliche Einkaufshetze…
  • Eine erneute geringfügige Lockerung kam schließlich endlich durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien vom 30.07.1996 (BGBl. I S. 1186), das uns nach fast 40 Jahren Ladenschluß endlich das Einkaufen an allen Wochentagen… sorry, Montags bis Freitags bis 20 Uhr gestattete. Als Reaktion auf dieses bißchen Kundennähe öffneten viele Kaufhäuser wohl auf Druck der Gewerkschaften jetzt erst um 10 Uhr (statt wie früher um 8:30 oder 9:00 Uhr), so daß sich vor den Eingängen Warteschlangen bildeten.
  • Auch der Euro hielt in das Ladenschlußgesetz Einzug, und zwar durch das Gesetz zur Einführung des Euro im Sozial- und Arbeitsrecht sowie zur Änderung anderer Vorschriften (das 4. Euro-Einführungsgesetz) vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983).
  • Die bislang letzte gesetzliche Änderung wurde durch die Siebente Zuständigkeitsanpassungs-Verordnung vom 29.10.2001 (BGBl. I S. 2785) ins Werk gesetzt, die die Bezeichnungen der Ministerien, die im Ladenschlußgesetz in den §§8, 9 und 12 vorkommen, auf den neusten Stand brachte.
  • Allerdings wurde nach der "Jahrhundertflut" im August 2002 in Sachsen auch das Ladenschlußgesetz fortgespült, aber, wie in Deutschland sind ja ordentlich, auf streng gesetzlicher Grundlage, denn §23 des Ladenschlußgesetzes erlaubt ausdrücklich Lockerungen in besonderen Fällen "im öffentlichen Interesse". Selbst in dieser Notsituation ging übrigens noch die "Dienstleistungsgewerkschaft" Verdi gegen die Erweiterungen der Dienstleistungen durch die faktische Abschaffung des Ladenschlusses in Sachsen vor – selten hat sich eine Gewerkschaft so offen gegen die Interessen der Menschen gestellt!

Welche Zeit und was für Ressourcen für diese Masse sinnloser Gesetzeslyrik verschwendet worden ist, ist phänomenal. Aber immerhin hat es auch einen Sinn: denn jedes Land braucht etwas, worüber das Ausland lachen kann. Etwa haben die Amerikaner ihr Delikt- und Schadensersatzrecht, das gepaart mit ihrer Klagefreudigkeit den Rest der Welt erfreut ("Objects in Mirror are larger than they appear!"), und was die Deutschen angeht, lacht der Rest der Welt über den Ladenschluß.

Interessant wäre aber auch herauszufinden, weshalb man überhaupt die abstruse Idee hatte, den Verkauf im Einzelhandel zeitlich so zu beschränken, daß Berufstätige manchmal überhaupt kein offenes Geschäft zu sehen bekommen: ging es wirklich nur um Arbeitnehmerschutz oder lagen unausgesprochene verborgene Motive zugrunde? Ist es unsere latente Sehnsucht nach einer verlogenen Welt, die Günter Ederer in seinem bekannten Buch so eindringlich beschwört, unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung? Darüber schweigen die Quellen… die Argumente der (zumeist gewerkschaftlichen) Befürworter lassen sich jedenfalls leicht entkräften: so haben die christliche Kirche und das (angeblich) christliche Abendland auch in ladenschlußlosen Ländern wie Großbritannien überlebt. Auch die Arbeit nachts und an Wochenenden hat sich bewährt, im Verkehrsgewerbe beispielsweise, und ist dort Gegenstand tarifvertraglicher Regelungen, wie es sein muß. Und wer an den Universitäten nachfragt würde sicher Studenten finden, die am Sonntag arbeiten würden… wenn man sie nur ließe. Ist Arbeitsschutz in Deutschland also der Schutz vor der Arbeit?

Ich weiß es nicht, aber ich ahne, daß uns diese abstruse Debatte noch Jahrzehnte verfolgen wird. Mit deutscher Gründlichkeit wird weiterdebattiert, weitergestritten und weitere Minimalkorrekturen werden meine Liste von oben verlängern. Fundamental ändern wird sich freilich nichts. Marktwirtschaft ist nicht mehr angesagt: der sozialistische Verteilungsstaat ist das Leitbild, Ökosozialismus das Ziel der Herrschenden, da darf es nicht sein, daß man nachts um zehn noch Brötchen kaufen kann oder am Sonntag in aller Ruhe sogar ein Auto probefahren darf… oh pfui, wie umweltschädlich!

Quelle: "Ederer, Günter: "Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt. Unsere Angst vor Freiheit, Markt und EIgenverantwortung", Bertelsmann, 1. Auflage München 2000, ISBN 3-570-00432-5.

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