Ausbildungs- und Umschulungsmaßnahmen des Arbeitsamtes: ein Insider packt aus

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Neben zahlreichen Lehrveranstaltungen auf Fachhochschulniveau oder bei der IHK bin ich seit Jahren in Umschulungs- und Trainingsmaßnahmen des Arbeitsamtes tätig. Dieser Text faßt eine Zahl von Erfahrungen zusammen, die ich in solchen Lehrgängen mache. Um niemandem zu nahe zu treten (obwohl das manchmal eigentlich nötig wäre) sind alle Namen fortgelassen worden, aber auch ohne die konkreten Namen der Beteiligten sind die hier berichteten Erfahrungen oft verallgemeinerungsfähig. Daß ich manchen Leuten nachfolgend doch ein bißchen auf den Schwanz trete, stört mich nicht, denn ich suche nicht Popularität bei Teilnehmern, sondern Lösungen für Probleme, und Probleme gibt's genug.

Die Fehlbesetzung

Viele Teilnehmer werden vom Arbeitsamt in solche Maßnahmen plaziert, und die bisherige Erfahrung ist, daß die Arbeitsberater kaum wissen, was am Markt angeboten wird. Das führte beispielsweise dazu, daß eine mir wohlbekannte Korrektorin mit jahrelanger Führungserfahrung in Druck und Fotosatz in einer Maßnahme "Heilerziehungspfleger" landete – eine krasse Fehlbesetzung. Sowas ist beiweitem keine Seltenheit, wie ich aus langjähriger Erfahrung zu berichten weiß. Also, liebe Arbeitsamtler, paßt mal ein bißchen auf, wen ihr wohin steckt!

Der Rentner

Viele ältere Teilnehmer von Arbeitsamtsmaßnahmen wollen faktisch nichts lernen, sondern nur die Zeit zur Rente überbrücken. Offensichtlich verbessert das ihren Rentenanspruch. Das mag menschlich verständlich sein, ist aber eine Verschwendung von Ressourcen. Leider sind die Bildungsfirmen voll mit solchen Leuten. Und das Arbeitsamt läßt es mit sich machen, denn die verwalten ja nur Zwangsabgaben, da kommt es nicht so drauf an: ein offensichtlicher Konstruktionsfehler des sozialen Verteilungsstaates!

Der Ignorant

Es gibt meistens eine große Zahl von Unwilligen, die eine Maßnahme nur besuchen, weil ihnen sonst irgendwelche Gelder gestrichen werden. Solche Leute schlafen manchmal einfach nur ein, andere spielen an ihrem Handy, wieder andere stören die Veranstaltung mehr oder weniger massiv. Während es einerseits menschlich verständlich ist, daß jemand für etwas, was er nicht tun oder lernen will wenig Enthusiasmus aufbringt, ist es ein großes Problem, daß gegen solche Leute keine Disziplinierungsmaßnahmen in die Hand gegeben sind: ich habe schon Teilnehmer nicht aus Lehrveranstaltungen werfen dürfen, die des Diebstahls überführt wurden: Das Arbeitsamt erzwingt die Fortsetzung des Lehrganges selbst mit Straftätern, und das Management der Bildungsfirma will die für so eine Person vom Arbeitsamt entrichtete Gebühr nicht verlieren und sagt dazu nichts. Eine unheilige Allianz!

Der Schutz der Daten

Wer krank ist (und noch eine Krankenversicherung hat, beiweitem keine Selbstverständlichkeit mehr), geht zum Arzt. Das ist OK. Ich habe aber Leute zu vier oder fünf Ärzten an einem Morgen tappen sehen, bis endlich einer den begehrten gelben Zettel unterschrieben hat. Und nicht nur, daß die Krankenversicherung allen diesen Ärzten ein Honorar zahlt, der Datenschutz verhindert auch jegliche wirkungsvolle Kontrolle. So ist das Sozialsystem ein effektiver Schutz für Drückeberger. Alle wissen das, aber keiner tut was dagegen. Schon dies auszusprechen gilt als politisch nicht korrekt. Datenschutz ist ja nicht schlecht, aber eben nicht immer…

Seltsame Gesetze des Kalenders

Die Krankheitsrate ist übrigens an Freitagen und Montagen auffällig hoch, und wenn etwa ein Donnerstag ein Feiertag ist, stehe ich am Freitag oft vor weitgehend leeren Rängen. Ist die gesundheitliche Anfälligkeit an diesen Tagen etwa besonders hoch? Besonders verwerflich finde ich, daß auch die Ärzte sowas mitmachen, denn es bringt ihnen Patienten, und das heißt, Geld in die Kasse: auf Kosten der Versicherten, versteht sich. Dabei wäre es eine einfache und offensichtliche Lösung, die ersten beiden Kranktage die Stütze vom Arbeitsamt anteilig zu streichen – schon wäre die Teilnahme vor oder nach Feiertagen gesichert. Auch die Daten der Ärzte könnten abgeglichen werden: hat sich einer binnen weniger Tage wegen derselben Sache mehrfach behandeln lassen, gibt's kein Honorar, und schon ist's aus mit Absentismus. So einfach geht das! Warum macht's keiner? Ja, die nächste Wahl…

Vom sozialen Besitzstand in diesem unserem Lande

Während mir auf der einen Seite immer mehr Leute über den Weg laufen, von denen ich – oft nur "unter der Hand" – erfahre, daß sie keine Krankenversicherung haben und sich verschulden müssen, um eine ärztliche Behandlung zu bezahlen, gibt es immer wieder Arbeitslose, die nicht kommen können, weil sie gerade auf der Baustelle ihres Eigenheimes zugange sind – oder einfach nur Urlaubskataloge wälzen, selbstverständlich im Unterricht. Und Teilnehmer, gerade aus der Schule raus aber schon mit einem 5er BMW. Es ist mir schlicht unverständlich, wie man arbeitslos sein kann und trotzdem ein Haus bauen, ein schweres Auto fahren oder auch einfach nur in den Urlaub reisen kann: offensichtlich kann es diesem Land noch nicht so schlecht gehen, wie immer behauptet wird.

Warum es keine Zeugnisse gibt

"Schülerleistung ist Lehrerleistung" hieß es in der ehemaligen DDR, und diesen Grundsatz scheint man sich auch in der Nachwendezeit zu Herzen zu nehmen. Jedenfalls ist es oft weder erlaubt noch möglich, Leute am Ende durchfallen zu lassen – selbst eine schlechte Note ist oft tabu. Und wer durchknallt, kriegt oft sogar noch ein Teilnahmezertifikat, nur halt ohne Noten. Während manche Arbeitgeber das dann richtig zu werten wissen, entsteht doch insgesamt ein falscher Eindruck, der übrigens auch auf die abfärbt, die es mit viel Fleiß und Arbeit erfolgreich hinter sich bringen. Kurz gesagt: ein bißchen Prüfungsstreß wäre gar nicht so schlecht: doch was in manchen anderen Veranstaltungen, etwa der Ausbildung "Betriebswirt IHK" oder "Technischer Betriebswirt" deutlich übertrieben wird, verdödelt das Arbeitsamt in spätsozialistischem Harmoniestreben ganz. Daß man damit den Leuten indirekt durch die allgemeine Entwertung eines Abschlusses einer Arbeitsamtmaßnahme schadet, scheint niemand zur Kenntnis zu nehmen, oder nehmen zu wollen. Haben wir seit 1968 denn nichts dazugelernt?

Das seltsame Qualitätsverständnis des Arbeitsamtes

Ich bin selbst von einem Arbeitsberater T. aus Erfurt aus einer "seiner" Maßnahmen geworfen worden, weil ich mit einer besonders unwilligen Verkäufertruppe bis zum Erbrechen Prozentrechnung geübt habe und auf Durchführung des Unterrichtes bestanden habe. Das wurde mit "Qualitätssicherung" begründet: ein seltsames Qualitätsverständnis. Ist Ruhe erste Bürgerpflicht beim Arbeitsamt? Eine pädagogische Aufgabe kann für den Lernenden schmerzhaft sein, wenn zu lernen lernen erstes Ziel des Dozenten ist. Kann sich eine Klasse aber den Dozenten nach Belieben aussuchen, schaden die sich nicht nur langfristig selber, ordentliche Dozenten werden auch in sicherere (und besser bezahlte) Positionen abwandern, so daß das Arbeitsamt langfristig mit den Pfeifen vorlieb nehmen muß.

Und es gibt ihn doch…

…den Teilnehmer von Umschulungsmaßnahmen, der wirklich etwas lernen will. Den, der sich anstrengt, ein Fachgebiet zu verstehen, der die Skripte und Dateien des Dozenten kennt, bevor er sie kennen muß, und der Sachen fragt die die geistige Durchdringung des Themas verraten. Der beste Unterricht ist dabei der, bei dem der Dozent die Führung nach und nach an die Teilnehmer abgibt, d.h., die Teilnehmer beginnen, das Sachgebiet durch gezielte Fragen mehr und mehr selbst zu erforschen und werden nur noch vom Dozenten in ihrer Wißbegier unterstützt: Der Lehrer als Coach und nicht als Pauker. Leider ist sowas selten. Und was noch viel schlimmer ist: die, die es wirklich wollen, werden durch den Druck der Gruppe oft in ihrer Lernbegier gehindert, denn "Streber" zu sein gilt als politisch nicht korrekt. Überhaupt ist Wettbewerb offensichtlich nicht erwünscht, und es-wissen-wollen scheint unbeliebt zu sein. Warum? Ein Erbe aus der Schulzeit der Alt-68er?

Und es wäre doch so einfach

Offensichtlich brauchen manche Leute ein wenig Druck, und bei entsprechendem politischen Willen könnte es so einfach sein:

  • Bessere Arbeit der Arbeitsämter: Die Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes muß wesentlich zielgerichteter werden. Das ist bei über vier Millionen Arbeitslosen leichter gesagt als getan, doch ob die Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, auch nach der Wahl noch die entsprechende Begeisterung finden, wage ich immerhin anzuzweifeln. Die endlich angedachte Privatisierung der Jobvermittlung kann da nur der erste Schritt sein – rigide Leistungskriterien für die Mitarbeiter des Arbeitsamtes wären mE nach ebenso unerläßlich wie die komplette Abschaffung des Beamtentums und seiner zahlreichen Berufsprivilegien.

  • Mehr Kompetenz dem Ausbilder: Die Bildungsfirma, im Unterricht vertreten durch den Dozenten, braucht mehr Autorität, auch unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen. Vom temporären Rausschmiß bei Störung bis zur Zensur müßte eine Zahl von eigentlich selbstverständlichen Maßnahmen wieder eingeführt und auch angewandt werden.

  • Anleitung und Kontrolle: Wer schwänzt, muß konsequent bestraft werden. Schon die Einführung von zwei "unbezahlten" Tagen am Beginn einer Krankheit wäre eine wahrscheinlich sehr wirksame Maßnahme gegen Schwänzerei – und zudem datenschutzkonform!

  • Eliteförderung statt Gleichmacherei: Die Menschen sind nur vor dem Gesetz gleich, aber nicht gleichzumachen: Denen, die wollen, müssen auch entsprechende Bedingungen geboten werden (dürfen). Wenn im Lande des föderalen Schulprovinzialismus noch immer Abiturienten ins Ausland gehen, weil sie trotz Einserdurchschnittes in Deutschland keinen Studienplatz finden, dann darf man sich nicht wundern, wenn ob der allgemeinen spätsozialistischen Gleichmacherei keiner mehr Lust hat, etwas selbst zu leisten, was er auch erfolgreich auf die Allgemeinheit abschieben kann.

  • Wettbewerb der Bildungsfirmen: Derzeit konkurrieren Bildungsfirmen nur um die Aufträge des Arbeitsamtes, d.h., sie unterbieten sich gegenseitig im Preis. Da wundert es nicht, daß die Leistung dann entsprechend ist – etwa die erfurter Firma, die Technische Betriebswirte ausbilden wollte, aber keinen einzigen Computer besaß. Um solchen Mißständen abzuhelfen, würde ich einen Wettbewerb der Teilnehmer um die Bildungsfirmen vorschlagen, der etwa darin bestehen könnte, daß für Schulen ein Ranking nach US-Vorbild bekanntgemacht wird, das es "guten" Schulen erlaubt, sich die "guten" Teilnehmer etwa durch eine Eingangsprüfung herauszusuchen, so daß aber auch die Abschlüsse solcher Bildungsfirmen am Arbeitsmarkt einen entsprechend höheren Wert haben, so daß Teilnehmer um die Mitarbeit in solchen Firmen konkurrieren. Dann werden Schulnoten zu Banknoten, und das ist der eigentliche Sinn der ganzen Übung!

Update vom 15.07.2002

Inzwischen wird mein kleiner Beitrag an verschiedenen Stellen im Netz diskutiert, und während man mir bei meiner Kritik am Arbeitsamt mehr oder weniger zuzustimmen scheint (schließlich geht das ja nur gegen den Staat) bin ich doch erstaunt, mit welchem Haß und welcher Verachtung man meiner zugrundeliegenden These begegnet, die Wiedereinführung der Marktwirtschaft würde den Arbeitslosen mehr nützen als schaden. Dabei erstaunt mich nicht so sehr die grundsätzliche Ablehnung jeglichen Marktprozesses (das hat in Deutschland ja Tradition), auch nicht der Unwille, eine der eigenen Ansicht widersprechende These zu durchdenken, sondern primär die Aggressivität der persönlichen Angriffe, derer ich mich ausgesetzt sehe. Offensichtlich artikuliert sich hier ein heftiger gesellschaftlicher Verteilungskampf, über den fundamentalkritisch nachzudenken ein Verstoß gegen political correctness ist. Aber getroffene Hunde bellen bekanntlich, und daher ist die einzige Antwort: jetzt erst recht! (HZ)

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