Lernstrategische Hinweise für Dozenten und Teilnehmer

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Die folgenden Überlegungen und Hinweise sind Erfahrungswerte aus meiner langjährigen Lehrerfahrung und gelten momentan insbesondere für den IHK-Betriebswirt, lassen sich aber gewiß auch auf andere Lehr- und Ausbildungsgänge verallgemeinern. Sie stellen meine persönliche Erfahrung und Meinung dar und sind also keine objektiven gesicherten Erkenntnisse, aber vielleicht dennoch für die Dozenten und Teilnehmer anderer Veranstaltungen nützlich.

1. Die Kampagnenstrategie oder der innere Schweinehund

Letzterer ist jemand, der bei Ihnen vielleicht auch ein Wörtchen mitredet, und das sollten sie verhindern. Eine Aus- oder Fortbildung (im Beispiel zum "Betriebswirt IHK") ist eine langfristige Veranstaltung, die kontinuierliche Mitarbeit erfordert. Und sich zwei Jahre lang die Wochenenden um die Ohren zu schlagen, reicht nicht. Wer immer etwas anderes behauptet, lügt (oder ist ein Genie). Intensive Vor- und Nachbereitung ist unerläßlich.

2. Strategien der Vorbereitung

Ein (guter) Dozent erwartet zu Recht, daß Sie die relevanten Schriften zu einem Thema vor der Veranstaltung kennen. Eine Wochenendveranstaltung sollte nicht der primären Stoffvermittlung dienen, sondern der Durchsprache des Stoffes. Das setzt eine wenigstens oberflächliche vorherige Bekanntschaft mit dem Lehrinhalt voraus. Wird also ein bestimmtes Thema angekündigt, so sollten Sie vor der Veranstaltung das entsprechende Kapitel im Lehrbuch oder IHK-Textband lesen — oder die jeweiligen Dateien auf der BWL CD anschauen, wenn Ihnen eine solche zur Verfügung gestellt wurde. Halten Sie das nicht für eine übertriebene Forderung: ein Wochenendseminar kann einfach keine Vollzeitveranstaltung ersetzen, wenn Ihre eigene Mitarbeit nicht etwas verschärft ausfällt!

3. Strategien der Nachbereitung

In zahlreichen Kursen haben sich unter den Teilnehmern Lernzirkel gebildet, in denen der Stoff der letzten Veranstaltung noch mal besprochen und vertieft wird. Das ist nützlich, und hebt die Moral durch gemeinsames Tun (oder auch Leiden). Im Forum für Betriebswirtschaft steht solchen Lerngruppen (und auch Einzelpersonen) kostenlos Hilfe zur Verfügung, die man aber auch nutzen muß. Von alleine geht es nicht.

4. Strategien der Mitarbeit im Unterricht

Forschungen in früheren Prüfungen ergeben, daß zwei Strategietypen besonders häufig sind. Diese Erkenntnis ist verallgemeinerungsfähig, und wird hier am Beispiel des Betriebswirte-Lehrganges der IHK dargestellt.
In bestimmten Fächern ist die Prüfung reproduktiv. Das heißt, Sie müssen ein zugrundeliegendes Lehrmaterial möglichst genau kennen – am besten bis zur Interpunktion auswendig lernen. Im genannten Lehrgang sind die Fächer "Qualitätsmanagement" und "Projektmanagement" gute Beispiele hierfür. Ihr Dozent sollte daher die entsprechenden IHK-Textbände verwenden und ihnen in Aufbau und Inhalt möglichst genau folgen – trotz ihrer bekannten Mängel. Das ist zwar stupide, aber es ist halt so.
In anderen Fächern ist die Prüfung sehr auf Zusammenhänge aufgebaut. In diesen Fällen ist das IHK-Material meist eher hinderlich als dienlich und sollte fortgelassen werden – aber der Stoffplan muß selbstverständlich dennoch zugrundeliegen. Das Fach "Controlling" ist das optimale Beispiel hierfür. Hier kommt es ausschließlich und nur darauf an, Grunddefinitionen geistig zu inhalieren und anzuwenden: wenn Sie beispielsweise wissen, was Fixkosten und Variable Kosten sind, können Sie auch aus zwei Gesamtkostenwerten und den zugehörigen Umsatz- und Mengendaten den Deckungsbeitrag und den Break Even Punkt ausrechnen – ein häufiger Typ von Prüfungsfrage. Das ist wesentlich schwieriger als Auswendiglernen.

5. Was bedeutet "Denken in Zusammenhängen"?

Ich präsentiere oft zwei scheinbar ganz verschiedene Dinge, und bei einem davon kommt beispielsweise "120%" heraus und beim anderen "1,2". Wenn Sie jetzt erkennen, daß beide Methoden das gleiche leisten, haben Sie einen Zusammenhang erkannt: "120%" ist nämlich ein Zuschlagssatz und "1,2" ein Kalkulationsfaktor, die sich aber beide für Kalkulationen eignen. Sowas unangekündigt zu präsentieren und auf die Erkenntnis zu warten ist übrigens die sogenannte Induktivmethode, die ich besonders gerne einsetze, um das Denken in Zusammenhängen zu fördern. Übrigens fällt Ihnen dann auch nicht mehr schwer zu erkennen, daß ein "Gemeinkostenverhältnis" und ein "Zuschlagssatz" dasselbe sind – wenn etwa die Prüfung aus Versehen (??) einen anderen Begriff für Bekanntes verwendet. Freilich muß Ihnen dazu die Definition des Gemeinkostenbegriffes geläufig sein. Der allen Ernstes von Erwachsenen (!) gehörte Satz "Warum diktieren Sie uns nicht einfach etwas?" läßt auf mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit zum Selberdenken schließen und begründet eine sehr negative Prognose für Prüfungen.

6. Was Sie mitschreiben sollten

Möglichst wenig, um es mit einem Wort zu sagen: Wiederum ein Erfahrungswert aus meiner langjährigen Praxis ist, daß eine vollständige Mitschrift, möglichst noch mit meinen kleinen Witzchen zwischendrin wörtlich reproduziert, dem Prüfungserfolg wenig dient. Sie sollten alles, was Sie brauchen, in gedruckter oder in elektronischer Form zur Verfügung haben (IHK Textbände, Skripte, Bücher, CDs) und damit arbeiten, nicht darüber! Das ist übrigens auch der Nachteil vorgefertigter Projektorfolien: die werden hektisch mitgeschrieben aber nicht verstanden. Ich setze daher dieses Mittel gar nicht mehr ein.

7. Popularität und Erfolg

Ein guter Dozent sucht zuallererst eine Lösung, d.h., Sie durch die Prüfung zu bugsieren, und nicht Popularität im Lehrgang. Ein schönes warmes Arbeitsklima mag hübsch sein, dient aber nicht dem Ziel, wenn es Sie zum Nichtstun verleitet. Sich dann darüber zu ärgern, daß der Body Talk Ihres Dozenten Unzufriedenheit mit Ihrer Leistung ausdrückt heißt, daß Sie sich mit sich selbst beschäftigen (und nicht mit dem Lehrgegenstand), und das bringt Sie keinen Schritt weiter auf Ihr Ziel hin.

8. Ost-West-Unterschiede

Es ist meine vielfach gemachte Erfahrung, daß wer in der DDR seine Erstausbildung hatte weitaus mehr auf Auswendiglernen und viel weniger auf Denken in Zusammenhänge gedrillt worden ist als es in den alten Bundesländern der Fall ist. Ich spekuliere nicht über die Ursachen dieser Beobachtung, sondern präsentiere sie nur. Das heißt, daß das Fach "Controlling" Teilnehmern in Neufünfland schwerer fällt als solchen im "Westen". Hierfür gibt es keinen spezifischen Support von der Kammer, weil die Prüfung bundeseinheitlich ist; also fordert die u.U. einen härteren Einsatz. Anders ist es übrigens bei English, das im Stoffplan vorausgesetzt wird, im Osten früher aber nicht zum Schulunterricht zählte: da bietet die Kammer Zusatzlehrgänge an, die aber extra Zeit kosten, und natürlich Geld.

9. Die persönliche Entscheidung

Oft scheint es an der Arbeitsbelastung aus dem Tagesgeschäft zu hängen. Bei manchen Teilnehmern habe ich den intensiven Verdacht, daß sie sich zeitlich und kräftemäßig überschätzen — oder einfach nicht die Willenskraft haben, die sowas halt erfordert. Es wäre schön, wenn mehr Teilnehmer sich die hier dargestellten Gedanken vorher durch den Kopf gehen ließen, und nicht ihre Dozenten verantwortlich machen, wenn sie merken, daß sie scheitern!

10. Links zum Thema

 

Forum für Betriebswirtschaft | Die IHK-Textbände: Warum sie schlecht sind, weshalb man sie dennoch braucht und wo man sie herkriegt | Mängel in Prüfungen der IHK

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